Börsenverein Jahresbericht Stiftung Buchkultur und Leseförderung 2022 - Bericht - Seite 23
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NOMINIERTE
Kommentar der Jury
Clemens J. Setz:
Monde vor der
Landung
Suhrkamp
Februar 2023
SHORTLIST
Ulrike Sterblich:
Drifter
Rowohlt Hundert
Augen
Juli 2023
SHORTLIST
Sylvie Schenk:
Maman
Carl Hanser
Februar 2023
Tim Staffel:
Südstern
Kanon Berlin
September 2023
„Eine Longlist ist nicht einfach nur eine Liste
mit Titeln, die eine Jury preiswürdig findet.
Sie bildet einen kollektiven Leseprozess ab.
Was treibt uns an? Was finden wir wichtig?
Welche literarischen Entdeckungen haben
wir gemacht? Unsere Auswahl ist auch in
diesem Jahr wieder der Beweis dafür, dass
die deutschsprachige Gegenwartsliteratur
voller Überraschungen ist. Newcomer*innen
stehen selbstbewusst neben etablierten
Autor*innen; kleine Verlage wechseln sich
mit großen Verlagen ab; Geschichten von
tragischem Ernst stehen neben Kapriolen der
Fantasie. Wichtig war der diesjährigen Jury,
auch den literarischen Humor zu würdigen.
Er ist in vielen der ausgewählten Titel nicht
nur Treibstoff des Erzählens, sondern auch
Ausdruck eines sympathisch undogmatischen
Weltverhältnisses, das uns besonders in dieser
Zeit beeindruckt hat.“
Die Streuung
ist breit und
die Zahl der
Entdeckungen
groß.
Frankfurter
Allgemeine Zeitung
23.08.2023
SHORTLIST
ROMAN
DES JAHRES
Kommentar der Jury
Kommentar der Jury
„Sechs Romane, die auf den ersten Blick
nichts miteinander zu tun haben. Sie spielen
zu unterschiedlichen Zeiten, beschreiben
unterschiedliche Milieus in unterschiedlichen
Ländern und finden dafür die je überzeugendsten Ausdrucksmittel. Legt man diese
Sechs aber nebeneinander, kommen sie unweigerlich miteinander ins Gespräch. Dieses
Gespräch handelt von unseren Prägungen:
von Erziehung und sozialer Herkunft, von
politischen Ideologien, von dramatischen
Systemwechseln und den Härten der Migration – von all dem also, was unsere Gegenwart
ausmacht und herausfordert. Darüber wird
mit so viel Scharfsinn, aber auch Witz und
Wärme geschrieben, dass wir uns nach der
Lektüre dieser Shortlist nicht nur die Frage
stellen, wo wir herkommen, sondern auch wo
wir hinwollen.“
„Auf den ersten Blick ist Tonio Schachingers
,Echtzeitalter‘ ein Schulroman. Auf den zweiten viel mehr als das: ein Gesellschaftsroman,
der das Aufwachsen seines Helden Till an
einer Wiener Eliteeinrichtung beschreibt, an
der die künftigen Leistungsträger*innen mit
reaktionärem Drill und bildungsbürgerlichen
Idealen aufs Leben vorbereitet werden. Aus
dieser repressiven Umgebung, verkörpert
durch den mephistophelischen Lehrer Dolinar,
flüchtet sich Till in die Welt des Gaming. Mit
feinsinniger Ironie spiegelt Schachinger die
politischen und sozialen Verhältnisse der
Gegenwart: Aus gebildeten Zöglingen spricht
die rohe Gewalt. Die Welt der Computerspiele
bietet einen Ort der Fantasie und Freiheit. Auf
erzählerisch herausragende und zeitgemäße
Weise verhandelt der Text die Frage nach dem
gesellschaftlichen Ort der Literatur.“