KINDgerecht Magazin für frühkindliche Bildung, Ausgabe 2 / November 2022 - Magazin - Seite 16
Frau Wollnitz, warum engagiert sich FRÖBEL
für die KI-basierte Software?
Theresia Wollnitz: Die Aussicht auf eine Spracherkennungs-KI
für kindliche Sprachäußerungen, über die zuverlässige und zutreffende Aussagen möglich sind, ob ein Kind eine detailliertere Sprachstandsdiagnostik bräuchte, wäre eine Erleichterung
für unsere Fachkräfte. Mit einem alltagsintegrierten Frühwarn
system hätten Fachkräfte eine verlässliche Grundlage, um
weitere Interventionen zu planen.
Wir haben uns besonders gefreut, bereits zu einem frühen Zeitpunkt in die Entwicklung eingebunden zu werden. Der Einbezug der pädagogischen Fachkräfte war uns besonders wichtig. Dies erhöht den Sprachoutput der Kinder deutlich und die
Kolleginnen und Kollegen können in der ersten Phase der Studie direkt Rückmeldung zum Nutzen und zu der Anwendbarkeit im pädagogischen Alltag geben.
Theresia Wollnitz,
Koordinatorin des FRÖBEL Forschungsund Hochschulnetzwerkes
Frau Prof. Dr. Siegmüller, Sie bringen als Sprachwissenschaftlerin langjährige theoretische und praktische
Erfahrung im Bereich des kindlichen Spracherwerbs mit.
Welche Chancen sehen Sie aus sprachwissenschaftlicher
Sicht in dem Projekt?
Prof. Dr. Julia Siegmüller: „Aus wissenschaftlicher Sicht besteht
der größte Benefit darin, dass wir durch das Projekt eine wesentlich größere Menge Daten über den natürlichen Erwerb
der deutschen Sprache erhalten als je zuvor. Kinder sind zwischen ihrem zweiten und dritten Geburtstag ganz intensiv damit beschäftigt, ihren Wortschatz aufzubauen. Täglich kommen neue Wörter hinzu, bis sie ihren Alltag sprachlich erobert
haben. Sie lernen die Wörter, die sie schon beherrschen, in kleinen Sätzen zu kombinieren. Die Sätze werden in Richtung dritter Geburtstag immer länger und komplexer, die Grammatik
beginnt sich zu entwickeln. Erste Fragen kommen hinzu und all
das mündet schließlich in der berühmten „Warum“-Fragephase, die viele Kinder ja sehr extensiv durchleben. Wir können mit
den Daten des Projektes ermitteln, wie hoch der Anteil der Kinder dieser sehr großen Gruppe ist, die das wirklich alles können, oder ob die Kinder doch weiter voneinander abweichen,
als andere wissenschaftliche Studien dies bisher nahelegen.
Das wird sehr spannend.
Dazu kommt, dass wir ermitteln können, wie kleine und große
Risikofaktoren für Entwicklungsauffälligkeiten und Sprachstörungen im Kita-Alltag aussehen. Oder auch – wie unterscheidet sich die Sprache eines Kindes von der großen Kindergruppe, wenn das Kind sprachlich für sein Alter extrem fit ist? In der
Forschung sagt man, dass ungefähr acht Prozent eines neuen
Kita-Jahrgangs Sprachauffälligkeiten zeigen werden. Seit Jahren gibt es immer wieder Stimmen, dass diese Zahl sich langsam erhöht. Durch das Projekt haben wir die einmalige Gelegenheit, diese Zahl zu evaluieren.
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Was geschieht dann mit den Daten?
Prof. Dr. Julia Siegmüller: Natürlich ist es damit nicht getan. Es ist
sehr wichtig, nach dem Suchen auch ins Tun mit den Kindern zu
kommen. Kleine Risikofaktoren führen zu Förderungen in der Kita
im Gruppenalltag oder in der Kleingruppe. Die müssen wir entwickeln, je nachdem, was wir für Risikofaktoren analysieren können. Größere Risikofaktoren führen dann dementsprechend zu
umfangreicheren Untersuchungen, damit wir anschließend beraten und ggf. behandeln können. Da kommt unsere Expertise
als Sprachtherapeutinnen ins Spiel! Wir werden die Eltern und die
Fachkräfte in der Kita natürlich nicht alleinlassen.
Ein weiterer Punkt, der gar nicht genug Beachtung finden
kann, ist, dass wir durch die Erhebung herausfinden können,
ob es bestimmte Bereiche der Entwicklung und der Sprachentwicklung gibt, die durch die Schließung der Kitas in der Corona-Zeit besonders betroffen sind. Da lernen wir gerade erst,
welche Folgen im sozialen und sprachlichen Bereich bei welchen Kindern zu erwarten sind. Hierfür gibt es erst wenige Daten auf der Welt, sodass wir auch für diese Themen ein sehr
wichtiges Projekt vor uns haben.
Prof. Dr. Julia Siegmüller,
Geschäftsführerin der EUFH –
Hochschule für Gesundheit,
Soziales und Pädagogik,
beratende Projektpartnerin
Frau Tuschen, Sie als Vertreterin des Fraunhofer-Instituts
haben die Sprachaufnahmen in den FRÖBEL Kindergärten
mitkonzipiert und sind an den Aufnahmen beteiligt. Wo
steht das Projekt gerade?
Laura Tuschen: Wir haben in den vergangenen Monaten gemeinsam mit allen Projektbeteiligten ein Aufnahmekonzept für
die Kinder im Alter von zweieinhalb bis viereinhalb Jahren erarbeitet. Das Sprachmaterial ist darauf abgestimmt, ein automatisches System zur Erhebung des Sprachentwicklungsstandes zu entwickeln und zu testen. Zeitgleich sind Materialien
und auch die Aufnahmesituation auf die Kinder in den Kindergärten ausgerichtet und regen zur Sprechfreude an. Diese Balance war uns von Beginn an besonders wichtig. Bei den
Sprachaufnahmen in den Kindergärten kommen von uns ge-