KINDgerecht Magazin für frühkindliche Bildung, Ausgabe 2 / November 2022 - Magazin - Seite 5
Herr Spieker, 2019 hat die Bundesregierung den „Digitalpakt Schule“ auf
den Weg gebracht. Die frühe Bildung
wurde darin nicht mitgedacht. Fängt
digitale Bildung erst in der Schule an?
Stefan Spieker: Ganz klare Antwort: Nein!
Denn digitale Medien gehören zweifelsfrei auch zur Lebenswirklichkeit von Vorschulkindern. Sie kommen überall mit
den neuen Technologien in Berührung –
in ihren Familien, bei Freunden und immer öfter auch in der Kita. So haben wir
die große Chance, Kindern schon früh zu
vermitteln, wie sie diese Technologien für
sich nutzen können: Um kreativ zu werden, Inspiration zu finden oder ihrem Entdeckungsdrang nachzugehen. Warum
soll der verantwortungsbewusste Umgang mit Computer, Tablet und Co. erst
in der Schule ein Thema werden?
Inwiefern schafft die Digitalisierung in
der frühen Bildung mehr Chancengerechtigkeit?
Stefan Spieker: Wenn man sich einmal
überlegt, wie zentral der Begriff der
Chancengerechtigkeit für unser Gemeinwesen ist – dann ist es doch erstaunlich, wie viele digitale Hilfsmittel wir hier
noch nicht nutzen, obwohl die in anderen Zusammenhängen schon selbstverständlich geworden sind: Von den 22
hierzulande gängigen Verfahren zur Feststellung des Sprachstands sind zum Beispiel nur fünf digital verfügbar. Und warum soll uns künstliche Intelligenz nicht dabei unterstützen, Sprachförderbedarfe
früh zu erkennen und Defizite auszugleichen? Auch bei der Kommunikation mit
Familien mit nicht deutschen Herkunftssprachen wäre sie von großem Nutzen.
In nahezu jedem Lebensbereich heißen
wir Innovationen willkommen, weil sie unsere drängendsten Probleme lösen. Dieses Streben nach neuen, immer besseren
Hilfsmitteln brauchen wir auch mit Blick
auf die Bildungsgerechtigkeit in unserem
Land.
und die Kitas außen vor bleiben. Zum anderen müssen wir zugeben, dass auch
nicht alle Träger und Verbände im Bereich
der frühen Bildung Innovationen mit offenen Armen begrüßen. Als Gesellschaft investieren wir aber nun mal am ehesten
da, wo man es auch einfordert.
FRÖBEL fordert einen Digitalpakt für
Kitas. Was versprechen Sie sich
davon?
Stefan Spieker: In der Pandemie mussten
wir erfahren, dass der Besuch einer Bildungseinrichtung auch in unserer Industrienation keine Selbstverständlichkeit ist.
Die daraus resultierende Not hat als KaEinige Stimmen in der Politik und
talysator für die Digitalisierung im Bilauch Pädagogik wollen Kitas vor der
dungsbereich gewirkt. Vielen pädagogiDigitalisierung schützen und sehen
schen Fachkräften bei FRÖBEL war es ein
darin eher Gefahren als Nutzen. Was
großes Bedürfnis, mit den Kindern zu Hauentgegnen Sie den Digitalisierungsse in Kontakt zu bleiben. Sie haben uns
kritikern?
an der Stelle mit einem unglaublichen
Stefan Spieker: Wenn wir unsere Kinder Ideenreichtum überrascht. Es wurden Vitatsächlich vor digitalen Medien schützen deos und Podcasts produziert oder digimüssten, dann wäre der erste notwendi- tale Newsletter versendet.
ge Schritt, diese aus ihren Elternhäusern zu
Ein Digitalpakt für Kitas wird sicherverbannen. Denn natürlich wachsen in ih- lich helfen, die Kreativität von weiteren
ren Familien die Kinder mit immer neuen Fachkräften in diesem Bereich zu be
Technologien auf. Das verhindern zu flügeln. Denn aktuell werden weder di
wollen, wäre nicht
gitales Equipment
nur unmöglich – es „Digitale Medien und ein vernoch notwendige
wäre auch nicht
Softwarelösungen
antwortungsbewusster Umgang
besonders klug:
in den Kita-FinanDenn die meisten damit sind überall ein Thema –
zierungssystemen
Kinder interessieren nur in vielen Kitas nicht. Wenn
der Bundesländer
sich offenbar für wir das ändern wollen, brauberücksichtigt. Mit
den Umgang mit
der Konsequenz,
chen wir einen Kita-Digitalpakt.“
diesen Technolodass Fachkräfte wegien. Was für eine Stefan Spieker
niger Instrumente
wunderbare Geleund weniger Zeit
genheit, sie in ihrem Entdeckungsdrang für sinnvolle pädagogische Angebote
zu unterstützen! Digitale Medien ermögli- zur Verfügung haben. Und mit der Kon
chen in der Kita ganz neue Bildungsmo- sequenz, dass digitale Medien und ein
mente zu ganz unterschiedlichen The- verantwortungsbewusster Umgang damen. Darauf pauschal zu verzichten, mit überall ein Thema sind – nur in vielen
wäre sicherlich ähnlich fahrlässig, wie Kitas nicht.
analoge Bildungsangebote komplett zu
Wenn wir das ändern wollen, brauersetzen.
chen wir einen Kita-Digitalpakt.
Stefan Spieker, FRÖBEL-Geschäftsführer
Einigen erscheinen Kitas als letzte
Bastion gegen die Digitalisierung –
ist da was dran?
Stefan Spieker: Kitas sind unsere ersten Bildungsorte – aber sicherlich nicht die ersten Orte, die man auf dem Schirm hat,
wenn es um Innovationen geht. Dafür
gibt es zwei Gründe: Zum einen blicken
wir als Gesellschaft immer noch anders
auf die Kitas als auf andere Bildungsinstitutionen. Solange das so ist, werden neue
Technologien weiterhin zuerst in unseren
Universitäten und Schulen Einzug halten
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