ECMI 01 Diskurs 2024 WEB - Flipbook - Seite 12
Klatt: Wir haben hier nicht nur die dänische
und deutsche Minderheit, sondern auch
die Friesen, die vor einer ganz anderen Herausforderung stehen, weil sie nicht direkt an
einen Staat gebunden sind. Es gibt kein Land,
das ihnen zusätzliches Geld gibt, sondern sie
müssen sich tatsächlich mit den Ressourcen,
die sie selbst aufbringen können, selbst versorgen. Und dann haben wir auch die Sinti
und Roma, die ebenfalls als anerkannte Minderheit in Deutschland und Schleswig-Holstein gelten, wo wir wiederum völlig andere
Umstände haben.
Und jetzt möchte ich gerne mehr über
das neue Forschungsprojekt B-SHAPES
erfahren. Könntest du es etwas genauer
vorstellen?
Klatt: B-Shapes ist ein Horizon Europe-Projekt
mit dem Titel Border Shaping Perceptions
of European Societies. Die Idee ist, den Begri昀昀
und das Konzept Grenze genauer zu untersuchen.
B-SHAPES ist ein Forschungs- und
Innovationsprojekt von Horizon
Europe, welches sich mit der Frage
befasst, inwieweit Grenzen weiterhin ein Schlüsselfaktor sind, wenn
es um Verständnis und Wahrnehmung von Gesellschaften geht.
Diese letzten beiden Minderheiten wurden
in der Forschung in den letzten vielen Jahren
etwas vernachlässigt, und darauf möchten
wir gerne mehr Fokus legen.
Es gibt zum Beispiel erstaunlich wenig
Forschung zu Sinti und Roma in Deutschland,
und das liegt natürlich auch daran, dass es
schwierig ist: Denn sie sind eine Bevölkerungsgruppe, die auch einen Holocaust erlebt hat.
Alle Sinti- und Roma-Familien in Deutschland
haben viele Familienmitglieder in Konzentrationslagern verloren.
Das Projekt (2023–2026) wird von
der University of Southern Denmark
unter der Leitung von Martin Klatt
koordiniert. Das ECMI arbeitet
mit B-SHAPES im Rahmen des Arbeitspakets 4: Borders shaping minorities‘
perceptions zusammen, das von
dem langjährigen Kooperationspartner Eurac Research in Bozen, Südtirol,
geleitet wird.
Daher gibt es immer noch Probleme, wenn es
um das generelle Vertrauen zum Staat geht.
Einige haben zum Beispiel eine völlig andere
Einstellung zur Schule. Manche Sinti und
Roma Familien möchte nicht, dass ihre Kinder
die Schulen besuchen, weil sie Angst davor
haben, dass ihnen etwas widerfährt. Einige
sagen auch, dass ihre Sprache ihre eigene
ist und, dass die Vermittlung in den Familien
selbst erfolgen sollte, außerhalb der Schule.
Aber für die Volksgruppe ist es sehr wichtig,
anerkannt und als gleichwertige Menschen
behandelt zu werden. Sie möchten, dass die
negativen Stereotypen, mit denen sie immer
noch konfrontiert werden, verschwinden und,
dass anerkannt wird, dass sie, wie die Juden,
systematisch verfolgt wurden.
Was macht eine Grenze mit unserer
Selbstwahrnehmung und was bedeutet sie
in dem Zusammenhang auch als mentale
Grenze, nicht nur als Landesgrenze?
Hier haben wir eine Arbeitspaket, das untersucht, welchen Ein昀氀uss Grenzen haben,
besonders für junge Menschen und speziell
für die Minderheit, bei dem wir insbesondere
mit jungen Menschen darüber sprechen,
was die Grenzen für sie bedeuten. Dabei
denken wir natürlich auch an Corona, wo die
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