KINDgerecht - Magazin für frühkindliche Bildung, Bilinguale Bildungsarbeit, "Keiner soll sich exotisch fühlen", Teil 2 - KINDgerecht Magazin für frühkindliche Bildung, Ausgabe 1, März 2022 - Magazin - Seite 19
KINDgerecht - Magazin für frühkindliche Bildung, Bilinguale Bildungsarbeit, "Keiner soll sich exotisch fühlen", Teil 2
FORSCHUNG
Pädagogisches Setting
und Interaktionen
Wie gut gelingt es Kindern in Kindertageseinrichtungen, mit anderen Kindern und Fachkräften in
Interaktion zu treten? Der kindzentrierte Blick auf
Interaktion war Anlass für die Studie „Interaktionsqualität von Kindern im Kindergarten” von
Katharina Kluczniok und Thilo Schmidt, deren erste
Ergebnisse nach Abschluss der dritten Beobachtungswelle im Herbst 2021 veröffentlicht wurden.
Ulrike Henze stellt sie vor.
mit nicht deutscher Familiensprache lag
bei 27 Prozent. Im Folgenden werden einige Ergebnisse der Studie anhand praxisrelevanter Fragestellungen erläutert.
Wie gut gelingt es Kindern, mit
anderen Kindern zu interagieren und
Lernangebote in Kindergärten für sich
zu nutzen?
Überraschenderweise konnte in der Studie kein positiver Zusammenhang zwischen der Interaktionsqualität und pädagogisch angeleiteten Aktivitäten, sowohl für die Fachkraft-Kind-Interaktion
als auch für die Interaktionen der Kinder
untereinander bestätigt werden. Dagegen zeigten die Kinder in der Freispielphase eine etwas bessere Interaktionsqualität mit den anderen Kindern, ihren
sogenannten Peers. Hierbei wurde jedoch auch festgestellt, dass die beobachteten Kinder im Freispiel am längsten
nebeneinander und nicht miteinander
spielten. Dabei zeigten sich Unterschiede
hinsichtlich des Geschlechts. Mädchen
waren etwas häufiger im Parallelspiel
und in kooperativen Spielaktivitäten involviert, während Jungen etwas häufiger
allein agierten.
In welchen Gruppensettings finden
kindliche Interaktionen vor allem
statt?
Der zugegebenermaßen etwas sperrige
Begriff der Interaktionsqualität beschreibt
in einem Wort das Kerngeschäft der frühpädagogischen Arbeit. Gemeint ist damit
nicht nur, wie, mit wem und was untereinander kommuniziert wird, sondern auch in
welchem Rahmen, mit welchem Timing
und unter welcher Berücksichtigung von
Emotionen und Bedürfnissen.
Der bisherige Forschungsstand
zeigte, dass angeleitete Aktivitäten einen Einfluss auf die Interaktionsqualität
haben. Einflussfaktoren waren dabei sowohl die Rolle der pädagogischen Fachkräfte als auch die Gruppenstruktur. Diese Annahme lag auch der Studie von Ka36
tharina Kluczniok und Thilo Schmidt
(2021) zugrunde, welche die drei folgenden Dimensionen didaktische Phasen
folgenden (angeleitete Aktivitäten, Freispiel, Mahlzeiten), Gruppensetting (Kleingruppe, Zweierspiel, Großgruppe) und
Rolle der verschiedenen Akteure für das
Kind (pädagogische Fachkräfte, Peergroup).
Die Untersuchung wurde in der Region Pfalz in Rheinland-Pfalz durchgeführt. Es wurden insgesamt 160 dreijährige
Kinder zu drei Messzeitpunkten über dreieinhalb Jahre in 55 Kindergärten beobachtet. Die Geschlechterverteilung war
ausgewogen und der Anteil von Kindern
Der bisherige Stand der Forschung ging
von einer höheren Interaktionsqualität in
kleineren Gruppensettings wie Dyaden
(Zweierkonstellationen) und Kleingruppen
aus. In der aktuellen Untersuchung konnten allerdings keine Unterschiede zwischen unterschiedlichen Settings gefunden werden: Die Interaktionsqualität war
gleich gut – egal ob Kinder zu zweit, in
Kleingruppen oder in größeren Gruppenstrukturen beobachtet wurden.
Wie können Kinder mit nicht deutscher
Familiensprache in ihrem Interaktions
verhalten gezielt gefördert werden?
Gerade das Interaktionsniveau von
Kindern mit Zuwanderungsgeschichte
verbesserte sich über die dreieinhalbjährige Laufzeit der Studie hinweg kontinuierlich, sodass Kinder mit fünfeinhalb Jahren eine vergleichbare Interaktionsqualität wie Kinder ohne Migrationshintergrund erreichten. Es zeigte sich jedoch
auch, dass Kinder mit nicht deutscher Familiensprache kürzer an geplanten Aktivitäten teilnahmen, deutlich länger allein im Freispiel agierten und weniger an
kooperativen Spielaktivitäten beteiligt
waren. Dies verdeutlicht einmal mehr die
Wichtigkeit der alltagssprachlichen Bildung und Förderung in Kindertageseinrichtungen. Es sind die alltäglichen Interaktionsgelegenheiten, die präsent, feinfühlig und reflektiert wahrgenommen
werden müssen, um das sprachliche Niveau der Kinder anzuregen.
Wie sieht ein gutes pädagogisches
„Gerüst“ für Interaktionsgelegenhei
ten der Kinder untereinander aus?
Wie können pädagogische Fachkräf
te die Kommunikation der Kinder im
Freispiel natürlich unterstützen, ohne
es zu stören?
Für diese Art von Fragen gibt es keine allgemeingültige Handlungsanleitung. Es ist
eine Frage der Haltung der pädagogischen Fachkraft und des Zusammenspiels
im Team. Zur Entwicklung einer bewussten
Haltung zur Interaktion werden folgend
zwei praxisnahe Reflexionsinstrumente
vorgestellt.
Praxisanregungen zur Reflexion der
Interaktionsqualität – Vorzüge von
zwei unterschiedlichen Verfahren
Wie Interaktionsgelegenheiten im Alltag
möglichst anregend gestaltet werden
können, ist vor allem eine Frage der Reflexion des pädagogischen Handelns. Im
Jahr 2018 wurden zwei Reflexionsmaterialien veröffentlicht: GInA – Gestaltung von
Interaktionsgelegenheiten im Alltag
(Weltzien et al. 2018) und Zehn Schritte zur
alltagsintegrierten sprachlichen Bildung
(Walter-Laager 2014).
Zehn Schritte zur alltagsintegrierten
sprachlichen Bildung
Dieses Weiterbildungsmaterial mit Reflexionsimpulsen wurde an der Uni Graz entwickelt (Walter-Laager 2014). Es ist projekthaft angelegt und in zehn überschaubare Schritte unterteilt. Die zehn Schritte tei-
len sich in vier Themenbereiche. Zunächst
wird die Thematik der alltagssprachlichen
Bildung eingeführt, anschließend werden
einzelne Strategien in der Praxis ausprobiert und reflektiert, wie das Stellen sprachfördernder Fragen oder Strategien zur
Wortschatzerweiterung. Abschließend
folgt eine vertiefte Anwendung im Alltag
und eine Qualitätssicherung der erarbeiteten Meilensteine.
Für die Arbeit mit dem Team stehen
zu jedem Schritt diverse Videoimpulse zur
Verfügung. Die Videoimpulse zeigen
sprachanregende Situationen im Kindergartenalltag zum jeweiligen Schritt als
eine Best-Practice Variante auf. Jedes Video steht in zwei Versionen zur Verfügung:
Kommentiert und ohne Kommentar. Die
kommentierten Versionen werden von
Prof. Dr. Franziska Vogt und Dr. Susanne
Grassmann sprachlich begleitet und mit
fachlicher Sprache unterstützt. Es bietet
sich an, beide Versionen im Team anzuschauen. Zunächst die unkommentierte
Version, um sich im Team über die Sprachbildung in der Einrichtung auszutauschen,
und anschließend die kommentierte Version, um die Erkenntnisse aus dem Austausch noch einmal fachlich angeleitet
zu reflektieren.
Alle Materialien, sowie das Begleitheft sind kostenfrei über die Uni Graz abrufbar (Walter-Laager 2014). Die Printversion kann kostenpflichtig über die Uni Graz
bestellt werden.
Die GInA-Methode
Die GInA-Methode ist aus einem mehrjährigen Praxisforschungsprojekt (Weltzien et
al. 2018) entstanden und ein videogestütztes Beobachtungs- und Reflexionsinstrument. Zu dem Materialpaket gehört
ein Praxishandbuch und ein Beobachtungsbogen mit 22 Merkmalen zum Interaktionsverhalten von pädagogischen
Fachkräften.
Das Praxisbuch bietet eine Vielzahl
von Impulsen für den Alltag. Es ist eine
Schatztruhe für neue Ideen, um Momente im Kindergartenalltag feinfühlig zu gestalten. Zu jedem Merkmal gelingender
Interaktionen finden pädagogische
Fachkräfte inspirierende Einstiege, kurze
fachliche Impulse, anregende Reflexionsfragen sowie Ideen zum Transfer in die
praktische Arbeit.
Für die Arbeit mit den Bögen bietet
es sich an, einzelne Videosequenzen von
Interaktionen der pädagogischen Fachkraft mit den Kindern zu nutzen, vor allem
dann, wenn die Bögen zur Selbstevaluati-
on genutzt werden. Eine Auswertung im
kleinen Kreis im Team ist zur Entwicklung
gemeinsamer Strategien und Maßnahmen sehr empfehlenswert.
Das Instrument ist im Herder-Verlag
erschienen. Das Praxisbuch inklusive der
Bögen kostet 25 Euro.
Kombinierter Einsatz der Materialien
Beide Instrumente sind sehr praxisnah und
bieten Reflexionsmöglichkeiten aus verschiedenen Perspektiven. Gerade ein
aufeinanderfolgender Einsatz beider Materialien ist empfehlenswert. Beginnend
mit den Zehn Schritten zur alltagssprachlichen Bildung kann nach Abschluss zur
weiteren Qualitätssicherung der regelmäßige Einsatz der GInA-Methode dazu beitragen, dass das Thema im Team präsent
bleibt und kontinuierlich weiterentwickelt
wird.
Referenzen
Katharina/Schmidt, Thilo (2021):
Zur Bedeutung des pädagogischen
Settings für die Interaktionsqualität
von Kindern im Kindergarten. In:
Frühe Bildung, 10(4), S. 214–223.
Laager, Cornelia (2014): Zehn
Schritte zur alltagsintegrierten
sprachlichen Bildung.
https://sprachliche-bildung.uni-graz.
at/de/. Stand (18.01.2022)
Weltzien, Dörte (2014): Die Gestaltung
von Interaktionen in der Kita: Merkmale – Beobachtung – Reflexion.
Beltz-Juventa.
Weltzien, Dörte/Huber-Kebbe, Anne/
Bücklein, Christina (2018): GInA.
Gestaltung von Interaktionsgelegenheiten im Alltag. Herder
Die Autorin:
Ulrike Henze arbeitet seit 2016 bei FRÖBEL. Nach
fünf Jahren im FRÖBEL-Kindergarten Am Ring, wo
sie unter anderem als zusätzliche Fachkraft im
Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ gearbeitet hat,
koordiniert sie seit September 2021 den Aufbau
von Konsultationseinrichtungen bei FRÖBEL.
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