Magazin KINDgerecht Ausgabe 1-2023, Juli: „Piep, piep, piep, guten Appetit.” Mahlzeiten und Ernährung als nachhaltiges Bildungsmoment in Kitas - Magazin - Seite 33
Eigentlich gibt es im Eingangsbereich des FRÖBEL-Kindergartens An den Clouthwerken in Köln viel zu sehen: Afrikanische
Riesenschnecken zum Beispiel oder eine Kolonie Blattschneideameisen. Für Luis, 2 Jahre, der gerade angekommen ist,
zählt aber wie jeden Morgen nur eins: Was wird heute gekocht?
Zielstrebig marschiert er auf ein großes Panoramafenster zu,
hinter dem sich die Küche verbirgt. Hygienevorschriften machen den Bereich für die Kinder zur No-go-Area, aber durch
die Scheibe kann man immerhin sehen, was vor sich geht. Gerade wuchtet Koch Heiko Mezger im Eiltempo Kartoffeln in
dampfende Töpfe auf dem Herd. Als er Luis entdeckt, hebt er
die Hand zum Gruß: „Hallo Kollege!“
ren übernommen und lebt das offene Konzept des Hauses mit
Leidenschaft. „Beim Essen hieß es: ran an die Tische, rein in die
Mägen. Oft war die Prozedur in wenigen Minuten erledigt.“ So
konnte das nicht weitergehen! Das bewusste Essen gehörte
auf die Agenda.
Zunächst starteten sie mit Aktionen: Müsli mixen, Marmelade
kochen, Mehl sieben. Ein Zimmer, das bislang nur als Essensraum genutzt wurde, wurde neu ausgestattet: Arbeitsplatten
und Herd auf „Kinderniveau“ absenken, Küchenwaagen,
Kaffeemühlen für das experimentelle Auseinandersetzen mit
Lebensmitteln. Mitarbeitende brachten Rezepte, das Team
war voller Ideen. Doch bei Rosa hielt sich die Begeisterung in
Grenzen: „Schon mittags war das Essen wieder das übliche
Zweckding. Da sind unsere Kinder viel zu lange Konsumierende geblieben.“
Heiko kocht hier nicht nur, er macht die Zubereitung des KitaEssens zum Teamplay – etwa, indem er gemeinsam mit den
Kindern Essenspläne austüftelt. „Wir wollen sie bei diesem TheVor zweieinhalb Jahren dann der Wendepunkt. Von unzählima maximal einbeziehen“, erklärt Kitagen Gesprächen und Brainstormings mit
Leiterin Rosa Mendes auf dem Weg in die
dem Koch berichtet Rosa: „Was konnte
„Genusswerkstatt“ im ersten Stock, in der „Kinder sind keine rationalen
man tun, um die Sache zu drehen?“ Heiauch zwei Tage vor Ostern tüchtig ge- Esser“ – so bringt es Küchenko sagt heute: „Für mich war das völliges
werkelt werden soll. Feste Gruppen gibt chef Heiko auf den Punkt, was
Neuland, so etwas wie eine Ausbildung
es nicht in FRÖBEL-Kitas, die Kinder entfür Köche in Kitas gibt es nicht.“ Er gooer an den Seminartagen gescheiden jeden Morgen aufs Neue, in
gelte, fand schließlich die „Sarah Wiener
welchem Raum sie aktiv sein wollen. Heu- lernt hat, die ihn zum „GenussStiftung“, eine Initiative für praktische Erte können sie zum Beispiel im Garten Eier botschafter“ machten.
nährungsbildung von Kita- und Grundmit Naturfarben färben oder in der Theaschulkindern.
terwerkstatt der Frage „Wie fühlt sich ein
Hase?“ nachspüren. Oder aber in der Genusswerkstatt das
„Kinder sind keine rationalen Esser“ – so bringt es Heiko auf
Kochangebot „Von der rohen Kartoffel zum fertigen Kloß“
den Punkt, was er an den Seminartagen gelernt hat, die ihn
wahrnehmen.
zum „Genussbotschafter“ (siehe dazu S. 30f.) machten. Das ist
gesund, das sollte man essen? „Die Motivation muss aus einer
Als im Morgenkreis gefragt wird, wer was machen will, ist klar,
anderen Richtung kommen“, weiß Sozialpädagogin Lisa, die
wie Luis’ Antwort ausfällt. Kurz darauf ist er Teil einer achtköpdie Fortbildung kurz darauf ebenfalls besucht hat. Das hat
figen Crew: fünf Mädchen, drei Jungs. Alle wissen genau, was
aber eine tolle Farbe! Und wie das knackt beim Schneiden …
zu tun ist: Langes Haar wird mit Gummibändern zusammengeund dann auch im Mund …
bunden, Schürzen werden übergestreift, Schneidebrettchen
gegriffen. Töpfe mit Kartoffeln, Reiben, eine Kartoffelpresse
„Man darf sich das jetzt nicht so vorstellen, als würden große
und eine Schüssel mit Speisestärke machen neugierig auf das,
Teile der Mahlzeiten von den Kindern selbst zubereitet“, stellt
was jetzt passiert. „Wer von euch hat schon mal Knödel geLisa klar. „Wir wählen vielmehr täglich eine Komponente aus
gessen?“, möchte Lisa Kalthoff wissen, die das Team der „Geund bereiten die im kleinen Rahmen und nur für die Gruppe
nusswerkstatt“ als pädagogische Fachkraft komplett macht.
zu.“ Heute etwa soll es zu den Klößen Bayrisch Kraut mit Tofu
und eine vegane Soße geben – in der Werkstatt aber werden
„Ihhhiich“, jubelt die vierjährige Emmi, um dann allerdings
nur die Klöße Thema sein.
„Die mag ich nicht!“ zu ergänzen. „Ich habe die schon mal
bei meiner Oma probiert. Das war nicht so lecker“, meint die
fünfjährige Joana zustimmend. Noch deutlicher wird Luis:
„Knödel??“ Kommentar des Zweijährigen: ein gedehntes, von
einer rausgestreckten Zunge begleitetes „Bäh!“.
Küchenchef Heiko wird später sagen, solche Momente hätten ihn früher fast in die Verzweiflung getrieben. Wann immer
er mit dem Küchenwagen kam und die Schüssel auf den Tischen abstellte, wusste er: Ein Großteil würde sowieso wieder
zurückgehen. „Du musst halt anders kochen“, meinten die Erzieherinnen und Erzieher. „Ihr müsst eure Schützlinge halt besser zum Essen motivieren“, konterte er.
„Es war schlimm, wie sich alle gegenseitig die Schuld dafür gaben, dass die Kinder so wenig aßen“, sagt Rosa rückblickend.
Sie hat die Leitung der jetzt fünf Jahre alten Kita vor drei Jah33