Magazin KINDgerecht Ausgabe 1-2023, Juli: „Piep, piep, piep, guten Appetit.” Mahlzeiten und Ernährung als nachhaltiges Bildungsmoment in Kitas - Magazin - Seite 6
SOZIALES LERNEN
Ich, du und wir – soziales Miteinander,
Selbstbestimmung & Selbstständigkeit
(BEIM) ESSEN
LERNEN
Mahlzeiten sind hervorragende Momente, die ein gemeinschaftliches Zusammenleben fördern. Kinder können hierbei
viele Erfahrungen der Selbstbestimmung und Selbstständigkeit sammeln. In Bezug auf die Verantwortungsübernahme in
der Gemeinschaft bietet es sich an, die Kinder an Situationen
wie z. B. das Eindecken des Tisches und das Bereitstellen der
Speisen zu beteiligen. Erfahren die Kinder dafür Wertschätzung, bestärkt und motiviert es sie, auch in Zukunft Tätigkeiten
im Sinne eines gemeinschaftlichen Zusammenlebens zu übernehmen.
Eine wichtige Voraussetzung für die Förderung der Selbstständigkeitsentwicklung ist, dass Kinder sich selbst am Essen und
den Getränken bedienen können und gegebenenfalls, abhängig vom Entwicklungsstand des Kindes, Unterstützung von
der pädagogischen Fachkraft bekommen. Zudem sollten die
Speisen für die Kinder gut erreichbar und sichtbar auf dem
Tisch stehen. Bewährt haben sich in vielen Kindertageseinrichtungen z. B. kleine gläserne Schüsseln, kleine Kellen und
Servierbesteck und handliche Glaskännchen zum einfachen
Eingießen des Getränks. Darüber werden neben der Selbstständigkeit auch die feinmotorischen Fähigkeiten der Kinder
gefördert, wie z. B. die Auge-Hand-Koordination und der Pinzettengriff.
Genuss & (Aus)probieren – Sinneserfahrungen
Frühstück, Mittagessen und Zwischenmahlzeiten am Vor- und Nachmittag
sind ein fester Bestandteil in Kindertageseinrichtungen und nehmen einen
wesentlichen Teil im Tagesablauf ein.
Sie liefern wertvolle Vitamine, Kohlenhydrate und – viele Bildungsmomente!
Neben der Nahrungsaufnahme sammeln Kinder während des
Essens wertvolle Sinneserfahrungen und erleben Momente
des Genusses. Beim Essen werden Geschmacks- und Geruchssinne angeregt, wodurch bereits im jüngsten Alter Vorlieben und Abneigungen entstehen. Der individuelle Geschmack kann tagesabhängig sein und sich im Laufe des Lebens verändern. Auch das Aussehen des Essens beeinflusst
die Entscheidung, ob etwas schmeckt oder doch eher verschmäht bleibt. Ganz nach dem Motto: „Das Auge isst mit!“
Um Kindern, egal welchen Alters, genussvolle Erfahrungen zu
ermöglichen, sollten die Speisen zum einen ansprechend angerichtet sein, worüber auch die Farben der Komponenten
eine wunderbare Bildungssituation hervorrufen können. Zum
anderen bietet es sich an, kleine Schälchen mit einer Probierportion zur Verfügung zu stellen, damit Kinder die Gelegenheit
bekommen, unbekannte Speisen kennenzulernen. Wichtig ist
hierbei jedoch, dass jedes Kind selbstbestimmt entscheidet,
was es probieren möchte und was nicht. Die Probierschälchen sind zudem eine gute Option der Lebensmittelverschwendung vorzugreifen und so mit den Kindern Themen der
Bildung für eine nachhaltige Entwicklung aufzugreifen.
Da es einigen Kindern schwerfällt, ihren Hunger einzuschätzen, weshalb sie sich womöglich zu große Portionen auf den
Teller auftun, benötigen sie eine Begleitung vonseiten der pädagogischen Fachkraft. Hier ist es hilfreich, die Kinder zu motivieren, sich kleinere und dafür mehrere Portionen zu nehmen.
Dies fördert die Fähigkeit der Selbstregulation und die Signale
der Sättigung wahrzunehmen.
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Die Sinneserfahrungen beim Essen sind vielfältig. Bei der Nahrungsaufnahme erhalten die Kinder über Mund und Zunge Informationen zu Temperatur und Konsistenz der Speise. Gerade Kinder im Alter unter drei Jahren nutzen für diese Erfahrung
zusätzlich die Hände. Dabei beobachten sie das, was sie fühlen ganz genau und können somit ihre taktile und visuelle
Wahrnehmung miteinander verknüpfen. Aus diesem Grund ist
es wichtig, dass diese Erfahrungen nicht gehemmt werden.
Ein weiterer Aspekt dafür, dass junge Kinder bevorzugt mit den
Händen essen, ist vermutlich die noch nicht ausgereifte AugeHand-Koordination für die Nahrungsaufnahme mit Besteck
und die gleichzeitige Bestrebung nach Selbstständigkeit und
Selbstbestimmung. Hier ist ein besonders einfühlsamer Umgang bedeutsam, um die Bedürfnisse des Kindes nicht zu unterbinden. Dennoch kann die pädagogische Fachkraft das
Kind durch positive Interaktionen motivieren und unterstützen,
es mit dem Besteck zu versuchen.
Tischgespräche in entspannter Atmosphäre
Kinder sollten eingeladen sein, die Mahlzeit genussvoll und in
entspannter Atmosphäre zu sich zu nehmen. Dazu zählt einerseits, dass sie gemütlich Platz am Tisch nehmen können und
andererseits, dass sie eine Tischkultur erleben, die zu Tischgesprächen anregt und vom Zuhören und Ausredenlassen geprägt ist.
Das Essensangebot lädt wunderbar dazu ein, um mit den Kindern über die Zubereitung und die Herkunft der Lebensmittel
sowie den individuellen Geschmack zu sprechen. Aber auch
Gespräche über die kindlichen Erlebnisse sollten Platz finden,
an denen sich die pädagogische Fachkraft in positiver Weise
beteiligt und so für eine alltagsintegrierte Sprachbildung sorgt.
Am besten sind hierfür kleine Tischgruppen geeignet, an denen vier bis sechs Kinder Platz nehmen können. Werden die
Mahlzeiten in der Kindertageseinrichtung flexibel und offen
gestaltet, sollte sichergestellt sein, dass diese Übergänge keine Unruhe erzeugen. So wird verhindert, dass sich einzelne Kinder gehetzt fühlen und ihre Mahlzeit, entgegen den gesundheitlichen Bedürfnissen, vorzeitig beenden.
Mahlzeiten in Kindertageseinrichtungen sind alltägliche Situationen, in denen viel mehr Potenzial steckt, als den Hunger
und Durst zu stillen. Sie sind wahre Bildungsmomente und es
lohnt sich, ihnen eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Pädagogische Fachkräfte sind der Schlüssel, um diesen
festen Bestandteil der pädagogischen Arbeit zu einem wertvollen Ort des Lernens auszurichten, der sich an den Bedürfnissen der Kinder orientiert. Bildungsmomente gestalten, bedeutet, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle wohlfühlen und jedes Kind seinen (Lern-) Bedürfnissen in seinem eigenen Tempo nachkommen kann.
Neele Friedrich ist bei FRÖBEL zuständig für
die pädagogischen Themen Bildung für
nachhaltige Entwicklung und Gesundheit.
Praxiserfahrung sammelte sie als Leiterin
einer Kita.
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