Magazin KINDgerecht Ausgabe 1-2023, Juli: „Piep, piep, piep, guten Appetit.” Mahlzeiten und Ernährung als nachhaltiges Bildungsmoment in Kitas - Magazin - Seite 7
KINDERRECHTE
Mahlzeiten in Kindertageseinrichtungen dienen zunächst
der Nahrungsaufnahme und sind damit ein zentraler Baustein für die Gesundheit der Kinder. Gleichzeitig geben sie
dem Tagesablauf in den Einrichtungen eine Struktur und damit den Kindern Orientierung. Mahlzeiten bieten aber noch
viel mehr als das: Sie haben das Potenzial zu echten Bildungs- und Beziehungssituationen, wenn sie kindorientiert
gestaltet sind. Doch wie genau sehen kindorientierte Mahlzeiten aus und welche UN-Kinderrechte kommen am Bildungsort Esstisch zum Tragen?
Recht auf Gesundheit
ES WIRD GEGESSEN,
WAS AUF DEN
TISCH KOMMT!?
Kinderrechte ganzheitlich in Kindertageseinrichtungen umzusetzen,
bedeutet den gesamten pädagogischen Alltag an den Schutz-, Förder- und
Beteiligungsrechten der Kinder auszurichten. Dies betrifft beispielsweise die
Gestaltung pädagogischer Angebote oder die Auswahl von Spielmaterialien,
aber auch ganz alltägliche Situationen wie das Essen. Kassandra Ribeiro
stellt einige Kinderrechte im Zusammenhang mit Mahlzeiten vor.
Kinder haben laut der UN-Kinderrechtskonvention ein Recht
auf Gesundheit (UN-KRK Art. 24). Bezogen auf die Gestaltung
von Mahlzeiten bedeutet dies, dass Kinder ein ausgewogenes
und vielseitiges Essen in der Kita angeboten bekommen, dass
ihnen jederzeit zuckerfreie Getränke frei zur Verfügung stehen
und dass sie gesunde Zwischensnacks essen können, falls die
Wartezeit zwischen den Mahlzeiten zu lang ist. Es sollten zum
Beispiel nicht mehr als drei Stunden zwischen dem Frühstück
und dem Mittagessen liegen.
Auch hygienische Maßnahmen wie das Händewaschen vor
und nach dem Mittagessen oder Sicherheitsaspekte wie der
für alle pädagogischen Fachkräfte und das Küchenpersonal
gut sichtbare Aushang einer Unverträglichkeits- und Allergieliste spielen eine wichtige Rolle.
Gesundheit bedeutet aber auch Wohlbefinden. Das heißt,
dass sich eine gesunde und kindorientierte Mahlzeitengestaltung nicht nur auf eine ausgewogene Ernährung sowie ausreichende Hygiene und Sicherheit bezieht, sondern weit darüber hinausgeht.
Positive Erfahrungen in Essenssituationen bilden einen wichtigen Grundstein für ein gesundes Ernährungsverhalten. Wenn
die Atmosphäre während der Mahlzeiten entspannt ist, die
Kinder Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können und
ihre Bedürfnisse Berücksichtigung finden, dann entwickeln sie
Interesse und vor allem Freude am Essen. Essenszeit ist gleichzeitig auch Beziehungszeit, das bedeutet, dass positive Interaktionen zu den Mahlzeiten gehören sollten.
Mahlzeiten sind außerdem Ausgangspunkte für die unterschiedlichen Bedürfnisse der vielen verschiednenen Kinder in einer
Kita. Nicht alle Kinder haben zum gleichen Zeitpunkt Hunger
und nicht alle sind nach der gleichen Essensmenge satt. Manche Kinder essen sehr schnell, andere lassen sich gern mehr Zeit.
All diese Bedürfnisse müssen berücksichtigt werden, damit
sich auch jedes Kind während des Essens wohlfühlt. Das Gleiche trifft auf die verschiedenen Körpergrößen zu: kleinere Kinder brauchen niedrigere Tische und Stühle, damit sie mit den
Füßen den Boden berühren und so bequem sitzen können. Fixierungen und Sitzknöpfe zwischen den Beinen sind für sehr
kleine Kinder allerdings keine geeigneten Lösungen, da sie die
Kinder grenzüberschreitend in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken. Hier eignen sich besonders niedrige Krippenstühle.
Zusätzlich kann es den Kindern ermöglicht werden, im Stehen
zu essen. Kinder, die noch nicht in der Lage sind, sicher alleine
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zu sitzen, können auf dem Schoß der pädagogischen Fachkraft essen.
Recht auf Mit- und Selbstbestimmung
Auch das Recht auf Partizipation (Art. 12 UN-KRK) spielt eine
wichtige Rolle bei der Mahlzeitengestaltung. Kinder sollen die
Erfahrung machen, dass sie sich selbstbestimmt und selbstwirksam an der Essenssituation beteiligen können und dass sie
Einfluss auf die Gestaltung der Mahlzeiten haben. Je selbstständiger Kinder die Prozesse rund um das Essen mitgestalten
dürfen, desto positiver nehmen sie diese Situationen wahr. Bei
diesen Abläufen und Entscheidungen können Kinder gut (mit)
entscheiden:
Speiseplangestaltung
Was kommt auf den Tisch?
Einkauf
Was brauchen wir und wo bekommen wir das her?
Gemeinsam kochen
Wie werden aus den Zutaten richtige Gerichte?
Wer übernimmt welche Aufgabe?
Uhrzeit
Wann wird gegessen?
Tisch decken
Welches Geschirr benötigen wir?
Wo kommt was hin?
Sitzplätze
Wer möchte wo und neben wem sitzen?
Abräumen
Wer räumt welche Dinge wieder weg?
Wer macht sauber?
Beschwerden
Was gefällt mir nicht an der Essenssituation?
Welche Änderungsvorschläge habe ich? Usw.
Dabei stehen die Ressourcen und Bedürfnisse der Kinder immer an erster Stelle. Folglich gibt es einige Entscheidungen,
die Kinder nicht nur mitbestimmen, sondern die sie komplett
selbstbestimmt treffen können und sollen. Dazu gehören körperliche Bedürfnisse wie das Hunger- oder Sättigungsgefühl
oder der persönliche Geschmack. Kinder haben das Recht,
selbst zu entscheiden, welches Essen auf dem eigenen Teller
landet und was sie probieren möchten. Genauso entscheiden sie, wann sie fertig sind und aufstehen wollen oder wann
sie auf die Toilette müssen.
Wichtig ist an dieser Stelle, bestimmte Abläufe mit den Kindern
zu besprechen und zum Beispiel mit ihnen zu thematisieren.
Wie es sich anfühlt, wenn man allein am Tisch zurückbleibt,
während alle anderen Kinder bereits aufstehen. So können die
Kinder auch für die Bedürfnisse anderer sensibilisiert werden,
ohne, dass sie in ihren eigenen Rechten eingeschränkt werden.
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