Magazin KINDgerecht Ausgabe 1-2023, Juli: „Piep, piep, piep, guten Appetit.” Mahlzeiten und Ernährung als nachhaltiges Bildungsmoment in Kitas - Magazin - Seite 34
Nur? So ein Kloßrezept ist was ziemlich Anspruchsvolles, stellen
die Kinder fest. „Warum steht da Mehl?“, fragt Emmi. „Das ist
Kartoffelstärke“, erklärt Lisa. „Macht die stark?“, will der vierjährige Hannes wissen. Die Pädagogin überlegt. „Ja, vielleicht
kann man das tatsächlich so sagen. Kartoffeln enthalten viel
Kohlenhydrate. Die geben euch Kraft.“ Und die braucht man
hier auch. Das Schälen der Knollen, die zwecks Zeitersparnis
vorab vom Profi gekocht wurden, geht ja noch. Aber das mit
der Presse wird für die Kinder eine echte Herausforderung.
„Ich kann das“, sagt Hannes und krempelt die Ärmel hoch.
Rein mit der Knolle ins metallene Gerät, Muskelkraft Marsch.
„Boah, das sieht ja wie Würmer aus, was da unten rauskommt“, staunt Emmi. „Oder wie Spaghettieis“, findet Lisa.
Spätestens jetzt ist das Interesse so groß, dass jeder aus der
Gruppe mal drücken will, und bei den Jungs beginnt sich fast
eine Art Wettkampfstimmung breitzumachen.
der Pistole geschossen. Klöße schmecken nicht, Klöße sind
bäh? Zumindest für den Moment scheint das hier kein Thema
mehr zu sein.
Kinder müssen Essen lernen, so wie Laufen, Sprechen oder
Fahrradfahren, erfahren die Teilnehmenden der „Ich kann kochen!“-Fortbildungen. Für Lisa der wohl größte Überraschungsmoment: Säuglinge haben viel mehr Geschmacksknospen als
Erwachsene. „Wie viele der Knospen im Laufe des späteren
Lebens zum Einsatz kommen, hängt von der jeweiligen Erfahrung ab. Wenn ein Kind sagt: „Ich mag das nicht“, dann heißt
das nämlich in Wirklichkeit oft: „Ich trau mich nicht.“
Heiko erntet mittlerweile oft erstaunte Blicke von Kollegen,
wenn er berichtet, was in seiner Kita so alles auf dem Speiseplan steht. Grünkern-Zitronen-Smoothies, Austernpilz-Tartar.
Aufläufe aus Ebly-Getreide, einer regionalen und damit klimafreundlichen Alternative zu Reis. „Und
die essen das, wirklich?“, fragen die
Kollegen, um dann eine ausführliche
Antwort zu erhalten: Es macht einen
Unterschied, ob man bei diesem ersten Überraschungsmoment bleibt, indem ein Champignon als merkwürdig
weich wahrgenommen wird. Oder ob
man lustvoll weiter forscht. Nach dem
Motto: Stimmt, das schmeckt ein bisschen gummiartig. Wer will auch mal
auf Gummi beißen?
„Mit so was hat man die Kinder dann
meist schon“, schmunzelt Lisa, die es
traurig findet, wenn in der Kinderküche
Nudeln mit Tomatensoße die Hauptrolle spielen. „Oder Fischstäbchen oder
Chicken Nuggets“, erinnert sich Kollege Heiko, der bis vor zwei Jahren genau dieses Programm abgespult hat.
„Man macht halt, was man kennt, redet sich raus: Mehr sei aus Kostengründen nicht drin.“
Die Mädchen versuchen sich derweil mit Raspeln. „Dafür nehmen wir die rohen Kartoffeln“, lernen sie. Warum das? Gut,
dass just in dem Moment der Koch persönlich zur Tür reinkommt: „Die Knödel brauchen Struktur, deswegen.“ Brauchen
was? Heiko überlegt, wie man das erklären könnte: „Wenn wir
nur gekochte Kartoffeln nehmen würden, wäre der Kloß
weich, wie Kartoffelbrei. Das wollen wir nicht.“ Nein, auf keinen Fall. Also weiter reiben, weiter pressen, für eine gute Mischung, die die zweijährige Paula voller Inbrunst in einer Schüssel entstehen lässt. Weiche und knackige „Würmer“ plus die
Kartoffelstärke, die Yu Yang, 5 Jahre, löffelweise dazugibt, das
macht die Masse schön geschmeidig. „Die Stärke sieht aus
wie Mehl, fühlt sich aber ganz anders an“, stellt Joana fest.
„Ja, so weich“, findet auch Fritzi, 3 Jahre. Emmi hat derweil etwas anderes entdeckt: „Schaut mal, die Schüssel, in der die
rohen Kartoffeln drin waren …“
„Wie viele Klöße machen wir?“, fragt Lisa, „Wer will einen, wer
will zwei?“ „Zwei“ – die achtstimmige Antwort kommt wie aus
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Inzwischen wissen Koch und Kitaleitung es besser: Mehr geht
sehr wohl, wenn man ein bisschen kreativ ist. Dass in dem FRÖBEL-Kindergarten inzwischen komplett fleischlos gegessen
wird, bringt enorme Einsparungen. Und auch der Schwerpunkt auf regionaler und saisonaler Kost schont das Budget.
Hafermilch selbst machen? Kein Hexenwerk.
Und dann ist der Moment gekommen: An die 20 kugelrunde
Knödel kommen in einen Topf mit sprudelnd kochendem Salzwasser. Jetzt heißt es warten, zehn Minuten etwa. Erst wenn
ein Kloß aufsteigt, ist er gar. Johanna, Emmi und Yuyang nutzen die Zeit für wichtige Vorbereitungen: Teller müssen auf den
Tisch, Stoffservietten und Gläser. Gläser? „Ja, klar“, sagt Lisa,
die Plastikbecher stillos findet und den Kindern im Rahmen definierter Regeln bestimmte Dinge ganz bewusst zutraut. Was
mache ich, wenn doch mal was zu Bruch geht? Den Schritt zur
Seite haben die Kinder hier genauso verinnerlicht wie das Ablegen nicht genutzter Messer auf dem „Messerparkplatz“
während des Kochvorgangs.