Magazin KINDgerecht Ausgabe 1-2023, Juli: „Piep, piep, piep, guten Appetit.” Mahlzeiten und Ernährung als nachhaltiges Bildungsmoment in Kitas - Magazin - Seite 4
FORSCHUNG
Obwohl die Frage zum Mittagessen einen festen Platz im täglichen Eltern-Kind-Dialog nach der Kita einnimmt, ist es überraschend, wie wenig eigentlich über die Verpflegungssituation in Kitas bekannt ist.
„Mama,
heute gab’s
Pommes
mit Nuggets!“
7,3 % der Jungen)4. Die Statistik zeigt zudem, dass der Anteil
der übergewichtigen Kinder mit dem Alter stark zunimmt. Dies
ist insbesondere besorgniserregend, da Übergewicht und Fettleibigkeit das Risiko für chronische Krankheiten wie Diabetes,
Herzkrankheiten und Krebs erhöhen und darüberhinaus die
kognitive Entwicklung von Kindern beeinträchtigen können.
Arens-Azevêdo et al. (2014) liefern erst- und einmalig im Auftrag der Bertelsmann Stiftung repräsentative bundesweite Daten für sowohl Quantität als auch Qualität des bestehenden
Dabei lassen sich einige strukturelle Muster in den Daten idenMahlzeitenangebots in Kitas und detifizieren5. Faktoren, die die Ernährung von
Kindern beeinflussen, sind u. a. das Eincken dabei einen dringenden Hand- „Zahlreiche Untersuchungen
kommen der Familie, der Bildungsstand
lungsbedarf auf. Nur gut ein Drittel (34,1
haben gezeigt, dass eine
der Eltern, der Zugang zu gesunden Le%) der befragten Kitas orientiert das
gesunde Ernährung in der
bensmitteln und das Ernährungswissen
Mahlzeitenangebot eigenen Angaben
der Eltern. Eine Analyse der Heinrich-Böllzufolge an externen Standards1. Eine frühen Kindheit entscheidend
Auswertung der Kita-Speisepläne zeigt für die Entwicklung der
Stiftung unter dem Titel „Ernährungsarmut:
darüber hinaus, dass vielerorts kein geWer schlecht isst, ist nicht selber schuld“6 erSprach-, Gedächtnis- und
sundheitsförderndes Mittagessen angegab, dass es in ärmeren Haushalten eine
boten wird. Zu den Standards der Deut- Konzentrationsfähigkeit ist.“
deutlich geringere Vielfalt an Lebensmitschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)
teln gibt und günstige, sättigende Lebensmittel gegenüber Obst und Gemüse bevorzugt werden.
zählt beispielsweise die Anforderung, täglich Gemüse zum
Mittagessen zu reichen, was lediglich bei der Hälfte der unterUm diesen strukturellen Ungleichheiten zu begegnen und
suchten Speisepläne berücksichtigt wird. Fleisch und Fleischihnen präventiv gegenzusteuern, fällt der Kita eine Schlüsselerzeugnisse werden in 46 % der untersuchten Kitas zu häufig
rolle in Bezug auf die Ernährungsbildung zu. Aber wie viele Kinangeboten. Dabei zeigt die Forschung deutlich, welche zender essen eigentlich in Deutschland in unseren Kitas zu Mittag?
trale Rolle eine gesunde Ernährung für die kindliche Entwicklung spielt.
1. Zusammenhang zwischen Ernährung und Bildungsweg
Zahlreiche Untersuchungen2 haben gezeigt, dass eine gesunde Ernährung in der frühen Kindheit entscheidend für die Entwicklung der Sprach-, Gedächtnis- und Konzentrationsfähigkeit ist. Umgekehrt kann eine schlechte Ernährung die sprachliche, motorische und soziale Entwicklung von Kindern nachhaltig beeinträchtigen.
1 18,4 % der Kitas orientieren das Verpflegungsangebot an Standards
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), 3,9 % am OptimiX
Konzept, 2,6 % an der Bremer Checkliste, 9,2 % an anderen Standards. Aber 36,4 % berücksichtigen keine externen Standards und
29,4 % machen keine Angaben.
2 Siehe u. a. Dauncey (2009).
3 Siehe u. a. Schildberg-Hörisch et al. (2018).
4 Siehe Schienkiewitz (2018).
5 Siehe z. B. Kuntz et al. (2018).
In der Literatur herrscht große Übereinstimmung darüber, dass
ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ernährungsverhalten von Kindern und der individuellen Leistungsfähigkeit besteht.3 Im schulischen Bereich kann Mangelernährung auch
indirekt über mehr krankheitsbedingte Fehltage zu schlechteren Schulleistungen führen.
Wie und was isst Kita? Und welche Zusammenhänge
bestehen zwischen der Ernährung und den Bildungswegen
von Kindern? Dr. Josefine Koebe hat sich einen Überblick
über die aktuelle Forschungslage verschafft.
6 Siehe Heinrich-Böll-Stiftung (2021).
Die prominente „Feed me better“ Kampagne, im Rahmen
derer der englische Gourmet-Koch Jamie Oliver die Schulküche einer Vielzahl an Schulen durch ausgewogenere Menüs
ersetzte, hatte zur Folge, dass Fehlzeiten an den beteiligten
Schulen um 14 % niedriger waren als an Schulen, die nicht an
der Kampagne teilnahmen. Die schulischen Leistungen in Mathematik, Englisch und den Naturwissenschaften lagen um
durchschnittlich 3 bis 8 Prozentpunkte höher aufgrund der Teilnahme an der Kampagne (siehe James und Belot, 2011).
Eine Studie des Robert-Koch-Instituts zum „Sport- und Ernährungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (Krug et al., 2018) zeigt mit den jüngsten KiGGS-Daten
(Welle 2), dass in Deutschland nur 17,2 % der 3-11-jährigen
Mädchen und 15,5 % der 3-11-jährigen Jungen die empfohlene Menge von fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag verzehren. Alarmierend sind darüber hinaus die Anteile an übergewichtigen Kindern im Kita-Alter (10,8 % der Mädchen und
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