Magazin KINDgerecht Ausgabe 1-2023, Juli: „Piep, piep, piep, guten Appetit.” Mahlzeiten und Ernährung als nachhaltiges Bildungsmoment in Kitas - Magazin - Seite 5
2. Status Quo: Wie is(s)t die Kita?
damit eine besondere Schlüsselrolle in Bezug auf die kindliche Ernährung zu.
Für das Jahr 2019 weist die amtliche Statistik rund 2,4 Millionen
Kinder aus, die eine Mittagsverpflegung in ihren Kitas erhalten.7 Bei den unter Dreijährigen Kita-Kindern liegt der Anteil im
bundesweiten Durchschnitt bei 83,7 %, bei den über Dreijährigen fast zehn Prozentpunkte niedriger (72,8 %). Dies hängt
mit der Tatsache zusammen, dass unter Dreijährige länger in
der Kita betreut werden.
Wie in nahezu sämtlichen Bereichen der frühen Bildung ist die
Situation der betreuten Kinder bei der Mittagsverpflegung in
Kitas im hohen Maße vom jeweiligen Wohnort abhängig.
3. Bundesweit verbindliche Qualitätsstandards sind überfällig!
Gute Ernährung und Ernährungsbildung in der Kita werden in
§ 22 Abs. 3(1) SGB VIII als wichtige Bestandteile eines gesunden Aufwachsens und der umfassenden Förderung von Kindern definiert. In einigen wenigen Bundesländern wie beispielsweise Hamburg oder Thüringen muss das Mittagessen
verpflichtend angeboten werden. Allerdings gibt es derzeit
keine bundesweit greifende verpflichtende Bereitstellung
von Mittagessen.
Anhand der amtlichen Kinder- und JuHinsichtlich der Qualität tauchen un„Die Einführung bundesweiter
gendhilfestatistik, die die Mittagsverpfleterschiedliche, teils sehr vage Qualigung in Kitas erfasst, zeigt sich, dass insbe- verbindlicher Qualitätsstantätsansprüche in einigen Landesgesetsondere in ostdeutschen Bundesländern8 dards wie etwa die der Deutzen auf. In Bremer Kitas z. B. genügen
das Mittagessen annähernd vollumfänglaut Gesetz die angebotenen Mahlzeischen Gesellschaft für Ernählich in der Kita eingenommen wird. In
ten einer „gesunden Ernährung“. In
rung, ist überfällig und stellt eine Rheinland-Pfalz soll sich das Mittageswestdeutschen Bundesländern spiegelt
sich ein heterogeneres Bild. Während in ganz konkrete gesundheitssen an den DGE-Qualitätsstandards
Bundesländern wie Baden-Württemberg fördernde Maßnahme dar.“
orientieren. Einige Bundesländer ha(41,1 %), Niedersachsen (62,8 %) oder
ben Leitlinien für die Kitaverpflegung
Rheinland-Pfalz (61,8 %) die Mittagessensentwickelt wie in Bayern durch das
quoten sehr viel geringer ausfallen, liegen Hamburg (98,4 %)
„Kompetenzzentrum für Ernährung“. Allerdings fehlt auch
und Bremen (96,3 %) nahe an der Vollverpflegung (Abb. 1).
hier die rechtliche Bindung.
Arens-Azevêdo et al. (2014) gehen vor dem Hintergrund steigender Betreuungszeiten davon aus, dass der Bedarf an Mittagsverpflegung in allen Bundesländern kontinuierlich zunehmen wird. Sowohl in Bezug auf das angebotene Mittagessen
als auch auf weitere angebotene Mahlzeiten kommt der Kita
Mittagsverpflegung in Kitas, Kinder unter 3 Jahren
Mittagsverpflegung in Kitas, Kinder über 3 Jahren
62,7
75,1
99,3
98,9
91,4
98,8
83,4
99,7
78,7
82,9
63,6
93,3
99,1
98,4
77,0
99,1
Baden-Württemberg
Ostdeutschland (mit Berlin)
Westdeutschland (ohne Berlin)
99,1
76,9
Westdeutschland (ohne Berlin)
66,1
Deutschland
83,7
Deutschland
72,8
Baden-Württemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
Ostdeutschland (mit Berlin)
Abb. 1: Kinder im Alter von unter 3 Jahren in Kindertageseinrichtungen nach vertraglich vereinbarter wöchentlicher
Betreuungszeit in den Bundesländern am 01.03.2019
(Anzahl; Anteil in %)
8
Die Einführung bundesweiter verbindlicher Qualitätsstandards wie etwa die der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, ist überfällig und stellt eine ganz konkrete gesundheitsfördernde Maßnahme dar, die dem Anspruch des gesunden
Aufwachsens unabhängig vom Wohnort gerecht wird.
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
41,1
64,3
99,2
99,1
96,3
98,4
71,2
99,6
62,8
80,2
61,8
65,7
98,9
98,8
64,2
99,1
99,1
Abb. 2: Kinder im Alter von 3 Jahren bis zum Schuleintritt
in Kindertageseinrichtungen nach vertraglich vereinbarter
wöchentlicher Betreuungszeit in den Bundesländern am 01.03.2019
(Anzahl; Anteil in %)
4. Kosten
Referenzen
Der Bund sollte allerdings nicht nur in Bezug auf verbindliche Qualitätsstandards in die Pflicht genommen werden.
Die Studie von Arens-Azevedo et al. (2014) weist darauf hin,
dass sich der frühkindliche Ernährungs-Flickenteppich auch
in Bezug auf die Kosten erstreckt, die den Eltern i. d. R. für
ein Mittagessen berechnet werden. Im Durchschnitt bewegt sich das Elternentgelt pro Mahlzeit zwischen 0,75 € bis
zu 6,00 € (2,40 € im Bundesdurchschnitt).
Damit der Anspruch des gesunden Aufwachsens für Kinder
nicht am Einkommen der Eltern scheitert und allen Kindern
eine Teilnahme an einem qualitativ hochwertigen Mittagessen ermöglicht wird9, sollte auf Bundesebene eine einkommensabhängige Beteiligung am Verpflegungsentgelt festgelegt werden. Dies ist in einigen Bundesländern wie Hamburg,
Thüringen oder Brandenburg bereits gesetzlich verankert.
5. Fazit
Es gibt umfangreiche empirische Evidenz dafür, dass der
Grundstein für gesundheitsbezogene Einstellungen in der
frühen Kindheit erlernt wird. Diese Erkenntnis steht allerdings
in Diskrepanz zu dem Stellenwert, den das Thema „Ernährung“ in der frühen Kindheit bislang in der Diskussion genießt.
Es wäre wünschenswert, wenn bundesweit geltende Standards – sowohl in Bezug auf die Qualität als auch in Bezug
auf sozial verträgliche Kostenstrukturen – dafür sorgen würden, die bestehende Varianz in der Kita-Verpflegung zu verringern und damit den Flickenteppich zu stopfen.
Dazu sollte es uns ein großes Bedürfnis sein, die Datenlage
zur Häufigkeit von Pommes mit Nuggets in Kitas in Deutschland zu verbessern, um damit auch den Handlungsbedarf
für Politik noch klarer zu beziffern.
7 Voraussetzung ist, dass diese über die Kita angeboten wird. Es werden
sowohl selbst gekochte Essen als auch Essen von Drittanbietern
gezählt. Die Inanspruchnahme gilt, wenn das Kind an mindestens der
Hälfte der betreuten Tage pro Woche in der Kita zu Mittag isst.
Datenquelle: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder
sowie statistisches Bundesamt, Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege, verschiedene Jahre; berechnet vom „LG Empirische Bildungsforschung“ der
FernUniversität in Hagen für den Ländermonitor der Bertelsmann
Stiftung, verfügbar unter: https://www.laendermonitor.de/de/
vergleich-bundeslaender-daten/kinder-und-eltern/betreuungsumfang/mittagsverpflegung-in-kindertagesbetreuung-1 (Stand:
03.04.2023).
8 Die Nutzung des Mittagessenangebots ist verknüpft mit der Dauer der
täglichen Betreuungszeiten, die in Ostdeutschland bekanntlich höher
sind als in westdeutschen Bundesländern.
9 Eine gewisse Einheitlichkeit ist für Familien gegeben, die sich für das
Bildungs- und Teilhabepaket qualifizieren, beispielsweise wenn sie
Geldleistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen. Für Kinder aus
diesen Familien besteht bereits ein Anspruch auf ein kostenloses
warmes Mittagessen und das „Starke-Familien-Gesetz“ hat den
Eigenanteil der Eltern für die Teilnahme an einer gemeinschaftlichen
Mittagsverpflegung gestrichen.
Arens-Azevêdo, U., U. Pfannes, M. E. Tecklenburg (2014):
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und Handlungsbedarfe, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh
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Dr. Josefine Koebe ist Bildungs- und Familienökonomin und leitet für den Stab „Wissenschaftskooperationen – Internationales“ bei FRÖBEL den
Bereich „Evidenzbasierte Politik“.
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