Magazin KINDgerecht Ausgabe 2-2023, November: Wie bildet man eine Demokratie? Mitwirkung von Kita-Kindern als Zukunftsaufgabe - Flipbook - Seite 11
Seit 1992 gilt in Deutschland die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen
in Deutschland. Seit diesem Zeitpunkt wird der Diskurs geführt, ob Kinderrechte
im Grundgesetz verankert werden sollen oder nicht. Der Koalitionsvertrag der
Bundesregierung sieht dies vor, aber für die geplante Grundgesetzänderung
ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat erforderlich.
Vieles würde sich für Kinder ändern, wenn die Kinderrechte im Grundgesetz
stehen. Ein Plädoyer dafür – von Bianka Pergande, Geschäftsführerin der Liga
für das Kind e. V. und Sprecherin im Netzwerk Kinderrechte.
Kinder sind auf den besonderen Schutz ihrer Rechte angewiesen, weil sie diese noch nicht selbst einfordern können. Dazu
gehört die Anerkennung als eigenständige Persönlichkeit, das
Recht auf Gehör in allen sie betreffenden Angelegenheiten,
das Recht auf Schutz vor Gewalt und Diskriminierung, auf Förderung und Entwicklung sowie auf einen angemessenen Lebensstandard. Mit Blick auf den hohen Anteil von Kindern, die
in Armut aufwachsen, oder auf die ungleich verteilten Bildungschancen wird deutlich, dass die Verwirklichung der Kinderrechte den Staat auch mehr Geld kosten wird.
In Kitas wird Kinderrechten zunehmend Gewicht gegeben,
zum Beispiel in Kita-Konzeptionen, beim institutionellen Kinderschutz oder in der Aus- und Fortbildung von pädagogischen
Fachkräften. Ein kinderrechtsbasierter Kitaalltag wird allen Kindern gerecht. Auch die Jüngsten erleben verlässlich Gelegenheiten zur Selbst- und Mitbestimmung und können sicher sein,
dass die Erwachsenen jederzeit grenzwahrend und ermutigend handeln – selbst in herausfordernden Situationen wie beispielsweise bei Kon昀氀ikten oder Beschwerden von Kindern. Die
Rechte auf Beteiligung, Förderung und Schutz gelten für alle
Kinder, unabhängig von ihrem Alter, von ihren sprachlichen
oder kognitiven Voraussetzungen oder von ihrer Herkunft.
„Kinder können ihre Rechte weder verlieren oder
aberkannt bekommen, noch müssen sie sich ihre
Rechte – etwa durch Wohlverhalten – verdienen.“
Hätten die Kinderrechte Verfassungsrang, müssten sich auch
strukturelle Bedingungen verbessern. So ist es im besten Interesse von Kindern sehr wichtig, dass die Kindertagesbetreuung, Frühe Hilfen, Gesundheitsdienste, Jugendhilfe und Schule reibungslos ineinandergreifen. Bislang ist die verlässliche Kooperation zwischen Kitas und Frühen Hilfen sowie mit Schulen
vielerorts jedoch noch nicht selbstverständlich.
www.netzwerk-kinderrechte.de
www.liga-kind.de
Seit fast 30 Jahren gilt in Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention, und seitdem wird darüber gestritten, ob und wie die
Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern sind. Zum zweiten
Mal gibt es einen Koalitionsvertrag der Bundesregierung, in
dem dies fest vereinbart ist. In der letzten Legislaturperiode ist
dieser Versuch kläglich gescheitert. Angesichts der aktuellen
Debatte um die Kindergrundsicherung kommen vielen Menschen, die sich als Lobbyisten für Kinder engagieren, Zweifel
auf: Bei gleichzeitigen Kürzungen in der Bildung, in der Kinderund Jugendhilfe und beim Kinder- und Jugendplan des Bundes
stellt sich die Frage, ob wir es nicht eher mit einem Nullsummenoder gar Minusergebnis bei Investitionen in ein chancengerechteres Aufwachsen von Kindern zu tun haben werden. Wir
müssen uns fragen, welcher Stellenwert Kindern in unserer Gesellschaft beigemessen wird.
„Es geht nicht mehr nur um Bildung und Bildungs
gerechtigkeit, sondern inzwischen längst um Vertei
lungsgerechtigkeit – um die Lobby für Kinder bei
der Verteilung von Chancen und Ressourcen sowie
von Lasten und Risiken.“
Bei dieser Verteilung haben Kinder selbst nicht mitzusprechen,
weder durch demokratische Abstimmung – denn sie können
ja nicht wählen – noch durch andere wirksame politische Beteiligungsverfahren. Gleichwohl werden Kinder die Auswirkungen der aktuellen politischen Entscheidungen jetzt und heute
direkt spüren sowie deren Folgen zukünftig in ihrem ganzen
Ausmaß zu tragen haben.
Die Zeit ist reif, dass Kinderrechte Realität für alle Kinder in allen Lebensbereichen werden: im Interesse der Kinder, der Eltern und der gesamten Gesellschaft.
Bianka Pergande,
Geschäftsführerin der Liga für das Kind und
Sprecherin im Netzwerk Kinderrechte
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