univie 3/2022 - Magazine - Page 13
SCHWERPUNKT
„Die Kurve
wieder flach
kriegen“
REDEN WIR ÜBERS KLIMA. Marcus Wadsak,
Meteorologe und Wetter-Anchor im ORF,
über Winterhitzewellen und Wetterkarten am Ende
der Rot-Skala. Wie können wir das Ruder noch
herumreißen?
Interview: Siegrun Herzog
univie: Herr Wadsak, Sie leben im Burgenland, einem Hotspot des Klimawandels –
wie erleben Sie diese Region?
Marcus Wadsak: Die letzten drei Jahre
waren in der Region dramatisch, die
Trockenheit ist enorm. Seit drei Jahren fehlt
der durchschnittliche Niederschlag und
die Auswirkungen sind nicht zu übersehen.
Der Zicksee ist tatsächlich ausgetrocknet
und der Neusiedler See selbst hält bei
einem historischen Tiefststand. Wir messen
dort seit 1965 und wir liegen deutlich unter
allem, was wir je zuvor gemessen haben.
Das hat bereits Folgen, Segelboote können
zum Teil gar nicht mehr auslaufen. Und es
zeichnet sich weiterhin nicht ab, dass der
rettende große Regen kommen würde.
Alarmiert Sie das?
Ja, wobei, der Neusiedler See ist ein
Steppensee, der auch mal austrocknen darf,
wie das vor fast 200 Jahren schon einmal
der Fall war. Ich sehe diese Entwicklung
aktuell mehr vom Wetter abhängig als vom
Klimawandel.
Heuer im Winter war zum ersten Mal
von „Winterhitzewelle“ die Rede, müssen
wir uns an solche neuen Bezeichnungen
gewöhnen?
Wir erleben immer öfter Dinge, die wir
noch nie gesehen haben. Das war heuer
der Jahresbeginn mit 19,7 Grad am 1. Jänner, das gab es in Österreich noch nie. Oder
der 8. 8. 2013: Da haben wir in Österreich
zum ersten Mal 40 Grad gemessen. Für
diverse meteorologische Erscheinungen
sind Begriffe definiert. Etwa eine Tropennacht ist definiert als eine Nacht, in der es
nicht unter 20 Grad abkühlt. Man spricht
von einem Sommertag, wenn es 25 Grad
hat und von einem heißen Tag, wenn es
30 Grad hat. Wir haben noch keinen definierten Begriff für Tage mit 35 Grad, aber
wir haben schon eine Menge solcher Tage.
Das heißt, wir werden uns Dinge ausdenken müssen, um die neuen Wetterphänomene ausreichend beschreiben zu können.
Auf den Global Warming Stripes, wo die globale Jahrestemperatur in Farben dargestellt
ist, sieht man, es wird hinten immer roter,
weil es immer heißer wird. Es ist davon
auszugehen, dass in den nächsten Jahren
noch ein paar heißere Jahre auftreten werden, und wir diskutieren mit Kolleg*innen
gerade darüber, was die nächste Farbe sein
wird. Das Rot ist ausgeschöpft. Wir haben
aber nicht damit gerechnet, dass es so
schnell geht.
Fifty shades of red sind gefragt,
sozusagen …
Ja, es stellt sich wirklich die Frage, in
welche Schattierungen man als Nächstes
gehen kann. Diese Veränderungen sind
dramatisch. Und apropos Tropennacht, es
gibt jetzt schon Nächte, wo es nicht mehr
unter 25 Grad abkühlt in großen Städten
wie Wien, auch dafür wird es wohl einen
geeigneten Begriff brauchen.
Sie haben an der Uni Wien Meteorologie
studiert – woher kommt Ihr Interesse für
Wetter und Klima?
Die Faszination fürs Wetter begleitet mich
seit Kindheit an. Ich verbringe meine
Freizeit viel im Freien. Wenn du rausgehst in
die Natur, dann bist du irgendwie wetterabhängig, sei es in der Planung oder in dem,
was du anziehst. Extremwetterereignisse
wie Gewitter oder Stürme haben mich
schon als Kind sehr fasziniert, ebenso
extrem schneereiche Winter, die es in
meiner Kindheit noch gab.
1/ 23
13