univie 3/2022 - Magazine - Page 10
DÜNGEN: DIE „ERSTE“ STICKSTOFFREVOLUTION. Möglich wurde diese
Entwicklung durch ein chemisches
Verfahren, das Stickstoff aus der Luft für die
industrielle Düngung verfügbar macht. Das
sogenannte Haber-Bosch-Verfahren hat
unsere Landwirtschaft revolutioniert und
ernährt mittlerweile mehr als 40 Prozent
der Weltbevölkerung. Wir sind heute auf
künstlichen Stickstoffdünger angewiesen.
Aber es gibt eine Schattenseite. Nicht nur
kostet es extrem viel Energie, den Luftstickstoff in reaktiven Stickstoff umzuwandeln.
Wir werfen ihn auch noch wie Perlen vor
die Säue. „Düngen ist extrem ineffizient“,
erklärt Holger Daims: „Nicht einmal die
Hälfte des Stickstoffs, den wir auf die Felder
bringen, landet in den Pflanzen. Der Rest
geht zurück in die Luft oder wird ausgewaschen und gelangt ins Grundwasser.“ Und
hier startet nicht nur ein Teufelskreislauf
mit vielschichtigen Folgen für die Gesundheit unseres Planeten – hier kommen auch
die unsichtbaren Akteure aus der Welt der
Mikroorganismen ins Spiel, denen unsere
Interviewpartner*innen insbesondere ihre
Aufmerksamkeit widmen: sogenannte
„nitrifizierende“ Bakterien und Archaeen.
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KLEINE, ABER MÄCHTIGE AKTEURE.
Nitrifikanten gehören zu den wichtigsten
Organismen im Stickstoffkreislauf. Verstehen wir, wie sie ihre Arbeit tun, verstehen
wir auch den gesamten Prozess besser –
und können dieses Wissen zum Beispiel zur
Entwicklung effizienterer Düngemethoden
nutzen. Nitrifizierende Mikroorganismen
wandeln Ammoniakstickstoff in zwei
Schritten zunächst in das giftige Nitrit und
dann in das harmlosere Nitrat um. Bis vor
Kurzem dachte man, dass es dazu zwei verschiedene Gruppen von Mikroorganismen
braucht, die jeweils einen dieser Schritte
durchführen.
„Lachgas ist nach Kohlendioxid
und Methan das drittwichtigste
Treibhausgas – und heute der
Ozonkiller Nummer 1.“
Holger Daims
FOTO: ALEXANDER BACHMAYER · SHUTTERSTOCK/STOCKSTATION · FREEPIK
An der Uni Wien forschen die Mikrobiolog*innen Sarah Al-Ajeel, Michael Wagner,
Holger Daims, Petra Pjevac (v. l. n. r.) und ihre Teamkolleg*innen an den Grundlagen
für neue Lösungen, um die Stickstoffkrise einzudämmen.