univie 3/2022 - Magazine - Page 17
UNIVERSUM
PLANET UND MENSCH:
SIND WIR NOCH ZU RETTEN?
Indem wir Menschen die Regelsysteme der Erde beeinflussen, setzen
wir die Lebensgrundlage kommender Generationen aufs Spiel.
Wie können wir die aktuellen Entwicklungen noch verändern?
Ein Semester lang diskutieren
Forscher*innen der Uni Wien über
die Gesundheit des Planeten.
Lesen Sie laufend Artikel zum
Thema in Rudolphina, dem
Online-Wissenschaftsmagazin der
Uni Wien:
rudolphina.univie.ac.at/planet
TIPP
Podiumsdiskussion zur
Semesterfrage
MO, 19. Juni, 18 Uhr
Großer Festsaal der Uni Wien
FOTO: SHUTTERSTOCK/ELPISTERRA · EVA MEILLAN-KEHR
Die Menge macht’s. Allein im Jahr 2018
schluckten Menschen weltweit 40,1 Milliarden Tagesdosen an Antibiotika. Bei Überkonsum drohen Antibiotikaresistenzen.
Viele unserer alltäglichen Medikamente
werden nicht dort konsumiert, wo sie produziert werden. Die Warenketten sind dementsprechend lang und instabil, wie die
rezente Debatte um Lieferschwierigkeiten
von Medikamenten in Österreich gezeigt
hat. Lange Warenketten tragen in beträchtlichem Maße zur CO2-Bilanz von Gesundheitssystemen bei, was sich wiederum
negativ auf das Klima auswirkt.
Medikamentenrückstände finden sich vielerorts in Gewässern und Böden, teilweise
in solch hoher Konzentration, dass sie
toxisch für Algen, Fische oder Krebstiere
sein können. Im AKH Wien entstehen
ca. 16.000 Kilo Abfälle pro Tag, die entsorgt
werden müssen. Auch wenn Krankenhausmüll hierzulande durch Richtlinien des
Umwelt- und Arbeitnehmer*innenschutzes
recht aufwendig entsorgt wird, ist das aufgrund von beschränkten Ressourcen nicht
überall auf der Welt der Fall.
Die WHO warnt vor Risiken für die menschliche Gesundheit, beispielsweise durch giftige Emissionen oder gar zellschädigende
Stoffe, die bei der Verbrennung und Entsorgung von medizinischem Abfall entstehen können.
Medizin mit Maß. Alle Bereiche der medizinischen Versorgung, vom Krankenhaus
über diagnostische Geräte bis hin zu
Arzneimitteln und hygienischen Einwegprodukten, benötigen Rohstoffe, verbrauchen Energie und hinterlassen materielle
Spuren in der Umwelt, sei es in Form von
Arzneimittelrückständen, medizinischen
Abfällen oder Emissionen. Dennoch möchten wohl die meisten Menschen, mich eingeschlossen, moderne Medizin nicht missen. Eine umfassende und gerechte
Gesundheitsversorgung ist ein zentraler
Pfeiler wohlfahrtsstaatlicher Gesellschaften. Krebstherapien, Diabetesmedikamente und Herz-Kreislauf-Behandlungen
gehören in Österreich zum Alltag vieler.
Trotzdem sollten wir die Frage diskutieren,
welches Maß an Medizin für uns und unse-
ren Planeten noch gesund ist. Dies hat der
österreichische Denker Ivan Illich auf radikale Weise schon in den 1970er-Jahren
getan, als er in seinem Werk „Die Nemesis
der Medizin“ die sogenannte Kontraproduktivität industrialisierter Medizin
beklagte, die, laut ihm, zu mehr Krankheit
als Gesundheit führe. Internationale Initiativen wie „Healthcare without Harm“ sind
heute weitaus pragmatischer und suchen
nach konkreten Lösungsansätzen, um beispielsweise den Plastikverbrauch in Krankenhäusern zu verringern oder, wie es seit
2023 in Frankreich geschieht, medizinische
Produkte mit einem CO2-FußabdruckBericht zu versehen.
In Zeiten von Klimawandel, Umweltverschmutzung und der Ausbeutung von
Menschen und Ressourcen sollten wir
gemeinsam über das Wie und Wieviel von
Medizin diskutieren und dabei auch die
planetarischen und gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen moderner medizinischer Versorgung nicht ausblenden.
Braucht es immer mehr Medizin, oder geht
Gesundheitsversorgung auch anders? •
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