univie 3/2022 - Magazine - Page 24
ALUMNIRÄTSEL
Die Mit-Entdeckerin des
seltensten Elements der Erde
WER WAR’S? Die diesmal gesuchte Alumna war nicht nur eine Pionierin in ihrem Fach,
sondern auch als Frau in der österreichischen Wissenschaft.
TEXT: KLAUS TASCHWER
Zurück in Wien forscht sie in den
1930er-Jahren an jenem Institut weiter, das
1910 als weltweit erstes seiner Art eröffnet worden ist. Nach dem „Anschluss“ im
März 1938 unterstützt sie Kolleginnen und
Kollegen jüdischer Herkunft, so gut es geht.
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Sie selbst kann weiterarbeiten und macht
noch in den Kriegsjahren eine ihrer wichtigsten Entdeckungen: Sie kann mit einer
Kollegin erstmals drei Isotope eines sehr
kurzlebigen chemischen Elements nachweisen, für das sie den Namen Viennium
vorgesehen haben. Für dieses seltenste
Element der Erde – in der Erdhülle macht es
nur etwa 0,0000000000000000000000003
Gewichtsprozent aus – setzt sich dann aber
doch ein anderer Name durch. Bei Bedarf
muss es künstlich erzeugt werden.
Die gesuchte Absolventin ist übrigens nicht
die einzige ehemalige Studierende und
Mitarbeitende der Uni Wien, die ein neues
Element nachweisen kann: Ein älterer Kollege war sogar an der Entdeckung von vier
Elementen (nämlich Neodym, Praseodym,
Ytterbium und Lutetium) beteiligt und
wurde zudem als Erfinder unter anderem
des Glühstrumpfs ziemlich reich. Sein
Denkmal mit dem Motto „Plus lucis“ – also
„mehr Licht“ – befindet sich in unmittel-
barer Nähe jenes Instituts, an dem die
gesuchte Alumna viele Jahre gearbeitet hat
und dessen Leitung sie ab 1945 übernimmt.
Das macht sie zur ersten Frau in Österreich,
die ein derart wichtiges Forschungsinstitut leitete.
Die Alumna durchbricht aber noch mehrere
andere gläserne Decken für Frauen in der
Wissenschaft. 1956 erhält sie als erste Frau
ein Ordinariat. Damit ist sie nicht nur die
erste ordentliche Professorin an der Uni
Wien, sondern in ganz Österreich. Und
vor genau einem halben Jahrhundert
– und nach einem halben Jahrhundert
eines Lebens im Dienst der Naturwissenschaften – ernennt sie die Akademie der
Wissenschaft als erste Frau zum „wirklichen
Mitglied“ dieser Gelehrtengesellschaft.
Auch posthum erfährt die Pionierin einige
Würdigungen: 2016 etwa ist sie eine von
jenen sechs Frauen, deren Leistungen mit
einem Denkmal im Hauptgebäude ihrer
Alma mater gewürdigt werden. •
FOTO: ÖSTERREICHISCHE ZENTRALBIBLIOTHEK FÜR PHYSIK, WIEN · BRANDSTÄTTER VERLAG
Ihr Studium an der Universität Wien beginnt
sie vor 100 Jahren, nachdem sie an einem
Wiener Gymnasium mit ausgezeichnetem
Erfolg maturiert hat. Zwar hegt sie stets
auch musische Ambitionen, doch sie entscheidet sich letztlich für die Naturwissenschaften, denen sie ihr gesamtes weiteres
Leben widmen sollte. Nach ihrer Promotion und der zusätzlichen Absolvierung
eines Lehramtsstudiums ist sie zunächst
erfolgreiche Gymnasiallehrerin. Doch sie
hegt weiter wissenschaftliche Ambitionen.
Auslandsaufenthalte in Paris und London
bringen sie in Kontakt mit den Größen ihres
Fachs, unter anderem mit einer zweifachen
Nobelpreisträgerin und dem Physiknobelpreisträger William Bragg.