Ausstellung - Flipbook - Seite 5
Die Pioniergruppe aus Wien
Viele der jungen Menschen, die zwischen 1936 und 1939 in Wien
zur Jugendgruppe um Karl König gehörten, begeisterten sich für die
Aufgabe, aus der Anthroposophie Rudolf Steiners heraus eine Gemeinschaft zu gründen, in der Heilendes für die Zukunft gepflegt
werden könnte – in der ein Stück der Kulturaufgabe Mitteleuropas
gerettet werden könnte. Als im März 1938 Nazi-Deutschland den sogenannten «Anschluss» Österreichs herbeiführte, versprachen sie
einander, individuelle Fluchtwege zu suchen, um zu gegebener Zeit
irgendwo an einem sicheren Ort für diese gemeinsame Aufgabe wieder zusammenzufinden. Im Frühjahr 1939 wurde Kirkton House im
Norden Schottlands der Ort, wo sie sich wiederfinden konnten. Von
dort aus ging es am 1.Juni 1940 zu dem Gut namens «Camphill», in
der Nähe von Aberdeen.
Im Folgenden werden die einzelnen dieser jungen Menschen, ihre
Fluchtwege und ihr weiteres Leben in Camphill kurz skizziert.
Handschrift Karl Königs
«für die tapferen Frauen»
Michaeli 1940
Trude Amann, geb. Blau, (Wien 1915–
Camphill 1987) war schon 1936 nach Arlesheim umgezogen, um Heilpädagogik zu
erlernen. Sie hatte ihren Eltern nichts von
dem Umzug in die Schweiz erzählt. Da sie
aus einer jüdischen Familie kam, war durch
den Anschluss Österreichs eine Rückkehr
nicht mehr möglich. Sie sah ihre Familie
nie wieder. Ihre Mutter wurde Oktober
1944 in Auschwitz ermordet. Trude Blau
kam September 1939 in Kirkton an.
Willi Amann, ihr künftiger Mann, war zuerst nach England geflüchtet und
zog dann zu den anderen nach Schottland. Dort wurde er, Pfingsten 1940, mit
den anderen Männern interniert; da er noch unverheiratet war, kam er in ein
Lager nach Kanada. Nach der Freilassung kehrte er zurück nach Camphill,
heiratete im Juni 1941 Trude, verließ sie und Camphill aber bereits 1944 und
half, eine Einrichtung in Garvald bei Edinburgh aufzubauen.
Trude war die Einzige unter den jungen Menschen, die Erfahrung mit Kindern
mit Behinderung hatte, was für die Anfänge sehr wichtig war. Dieser Aufgabe
ist sie auch in besonderer Weise ihr Leben lang treu geblieben. Sie verstand
es, mit besonders herausfordernden und Pflege-bedürftigen Kindern das
gemeinsame Leben zu gestalten; zunächst in Schottland, dann ab 1952 in den
Anfangszeiten der Camphill-Arbeit in Thornbury im Süden Englands, ab 1960
wieder in Schottland, wo sie in den folgenden Jahren eine zentrale Rolle in
der «inklusiven» Schule innehatte. Diese war 1948 nach den Prinzipien der
Waldorfpädagogik als «St. John‘s School» begründet worden. Schließlich übernahm Trude eine kleine Gruppe besonderer Kinder, die es nicht schafften, in
den anderen Klassen dabei zu sein. Dieser «special class» blieb sie für den
Rest ihres Lebens verbunden.