Ausstellung - Flipbook - Seite 8
Die Pioniere / 3
Carlo Pietzner (1915 Wien–1986
Barbara Lipsker, geboren als Sali
Gerstler, (1912 Wien–2002 Glencraig,
Nord-Irland) war Kindermädchen der
Familie König, als diese, nach der Flucht
aus Schlesien, die Praxis in Wien wieder etablierten. Sie war diejenige in der
Jugendgruppe, die am längsten im nationalsozialistischen Wien ausharren
musste. Sie schrieb: Diese letzten Monate in Wien waren eine sehr dunkle
Zeit. Die Verfolgung der Juden begann von dem Augenblick an, als Hitler in
Wien einmarschierte. Sali konnte im Dezember mit einer Arbeitserlaubnis als
Kindermädchen emigrieren und kam in London am 30. Dezember 1938 an. Sie
arbeitete zunächst als Kindermädchen, besuchte die Freunde ab Januar 1940
in Kirkton House mehrmals, war aber ihrem Arbeitgeber noch verpflichtet
und zog erst im Dezember 1940 in Camphill ein. Ihre Eltern und ihr jüngster
Bruder sind im Holocaust ermordet worden.
Ihr Mann Bernhard (1913 Hamburg–1979 Glencraig), war nicht Mitglied der
Jugendgruppe gewesen. Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er sein
Studium der Mathematik und Physik abbrechen, emigrierte 1938 nach England,
wo er in dem anthroposophischen heilpädagogischen Heim in Clent arbeitete.
Dort lernte er Karl König kennen, der öfter als Vortragender und für Tagungen zu
Besuch kam. Clent war außerdem Zentrum der britischen bio-dynamischen Landwirtschaft. Bernhard war für den Rest seines Lebens ein eifriger Gärtner. König begegnete er dann 1940 im Internierungslager auf der Insel Man wieder und folgte
ihm 1941 nach seiner Freilassung nach Camphill. Barbara und Bernhard waren
stark an der Ausweitung der Camphill-Arbeit nach England (Thornbury und Botton) beteiligt und später in Glencraig bei Belfast.
Camphill Village Copake, USA) erlernte
wie sein Großvater, der als Hof-Photograph des Kaisers ein Photostudio aufgebaut hatte, die Photographie. Er absolvierte
die Kunstakademie Wien mit der Auszeichnung summa cum laude und widmete
sein ganzes Leben der Kunst, vor allem der
Malerei. Er war nicht jüdischer Herkunft,
aber nachdem er den Militärdienst für die
deutsche Wehrmacht verweigert hatte,
musste auch er aus Österreich, das nun
zum Deutschen Reich gehörte, fliehen. Im
Sommer 1938 gelangte er zunächst nach
Prag, wo er dem dort im Exil lebenden österreichischen Künstler Oskar Kokoschka
begegnete und mit ihm intensive Gespräche führte. 1939 durfte er über die
Schweiz weiter nach London ausreisen. Er zog zunächst in den Lake District,
um sich der Malerei zu widmen und einen Roman zuschreiben. Von dort aus
wurde er im Mai 1940 interniert, zuerst auf der Insel Man und dann in Kanada,
kehrte nach der Entlassung für kurze Zeit in den Lake District zurück und zog
erst im Herbst 1941 nach Camphill. Sein ganzes Leben war durch die Künste
geprägt: Er trug diesen Impuls in die sich ausweitende Camphill Bewegung und
weit darüber hinaus. Er schuf farbige Fenster für viele Kirchen und Säle, malte,
schrieb Prosa, Dramen und Dichtung und gab vielerorts Seminare zu den Künsten.
Er war auch ein begabter Redner. Carlo war sehr an der Ausweitung der Camphill-Bewegung beteiligt – zunächst in Südengland, dann zog er mit seiner Frau
Ursel nach Nordirland, wo im Jahr 1954 in Glencraig eine erste größere Ausweitung durch die Camphill-Schul- und Hofgemeinschaft stattfand und eine
eigenständige regionale Arbeit entstand. Im Jahr 1960 folgten sie dem Ruf in die
USA, wo sie ebenfalls instrumentell am Aufbau einer regionalen Arbeit beteiligt
waren, zunächst an der Entwicklung der Schule in Pennsylvania und dann an
der Gründung der ersten amerikanischen Dorfgemeinschaft 1962 in Copake,
New York. Carlos Engagement für eine anthroposophische Vertiefung von
Kunst und sozialen Fragen verband ihn mit vielen – vor allem jungen – Menschen
in einem weiten Umkreis.