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HAVEN IM BLICK
DIGITALISIERUNG
Digitalisierung - seit über 40 Jahren
von Prof. Dr. Uwe Weithöner
Digitalisierung soll neu sein?
Computergesteuertes Entwerfen
und Produzieren (Fachkürzel:
CAD, CAM), computergesteuerte
Logistik und Lagerhaltung, Computerreservierungssysteme
im
Reisevertrieb – die genannten Begriffe u.v.a. sind um die 40 Jahre
alt. Junge Menschen, die als sogenannte „Digital Natives“ mit elektronischen Systemen aufwachsen,
haben wir bereits in der 2. Generation. Ihre (Groß-)Eltern haben
die ersten PCs und elektronischen
Spiele unter die Weihnachtsbäume
getragen. Das öffentliche Internet
gibt es seit 25 Jahren.
Waren wir zu langsam? Bereits
1977 war es für uns als junge Studenten ein erhellendes Erlebnis,
als wir die Fernsehgeräte-Produktion der Firma Telefunken in Celle
besichtigten. Auf fünf Fließbändern wurden die Fernsehgeräte
montiert. Drei Bänder waren mit
schraubenden und lötenden Mitarbeiter/-innen besetzt, aber an zwei
Bändern kontrollierte nur noch
eine Mitarbeiterin, ob die elektronischen Automaten präziser und
schneller dasselbe machten. Schöne neue Welt, vor über 40 Jahren,
Humanisierung der Produktion
durch Wegfall stupider und teurer
Arbeit. Damals hat die Digitalisierung begonnen, aber Fernsehgeräte-Produktion gibt es heute in
Deutschland nicht mehr
Digitalisierung ist folglich keine Geburt unserer heutigen
Zeit. Sie ist aber bis heute weltweit mit zunehmender Geschwindigkeit gereift und gewachsen, da
seit Ende der 1990er Jahre auch
die Kommunikations- und Steuerungsprozesse online und ohne
Zeitverzögerung ablaufen. Damit
können Produktions-, Logistikund Serviceprozesse in weltweit
arbeitsteiliger Kooperation auf
Basis des Internets gesteuert und
durchgeführt werden. Wir nennen
es Globalisierung.
Digitalisierung und Globalisierung sind seit über 20 Jahren unzertrennlich. Das bedeutet auch: Der Kunde kann
selbst die automatisierten
Leistungsprozesse gemäß seinen Wünschen steuern, z.B.:
•Der Kunde schickt den Roboter in
die Amazon-Warenlager, um sein
Paket packen zu lassen
•Der Student und die Wissenschaftlerin holen ein benötigtes
Buch nicht mehr aus dem Regal
einer Bibliothek, wochentags zwischen 9 und 18 Uhr. Sie laden es,
egal wann und wo sie sich befinden, aus einem Cloud-System herunter, und die Abrechnung mit der
Hochschule erfolgt automatisch im
Hintergrund.
•Eine Urlaubsreise wird nicht mehr
langfristig vorproduziert, um sie in
einem Papierkatalog anzubieten.
Der Reisekunde kann sich seine
Reise jederzeit selbst individuell
zusammenstellen, verbindlich und
gesichert reservieren.
Auf diese Entwicklung hätten
wir uns bereits seit langer Zeit
politisch, gesellschaftlich und
individuell einstellen müssen,
um aktiv Zukunft zu gestalten.
Schauen wir aber in die Politik, so
gewinnt man den Eindruck, dass
sie sich darin erschöpft, technisch
Versäumtes nachzuholen. Nach
einem Umbau z.B. unserer Sozialsysteme, die von menschlicher
Arbeit abhängig sind, sucht man
vergeblich. Die neue Datenschutzgrundverordnung der EU zeigt,
dass auch unsere Rechtsordnung
erhebliche Veränderungen erfahren hat.
Unser Sozialsystem hat seine Wurzeln in der Ära der Dampfmaschine und wurde nach 1945 renoviert,
als die Fließbänder und Industrien
mit hohem Bedarf an menschlicher
Arbeit wiederaufgebaut wurden –
zu Zeiten, als der Bundeskanzler
die soziale Versorgungssicherheit
mit dem Satz erklärte: „Kinder
kriegen se immer.“ An diesem alten System wird rückwärtsgewandt
gestritten und notdürftig geflickt.
Gesellschaftliche
Zukunftsentwicklung im Zeitalter der globalen
Digitalisierung sollte anders aussehen und ganzheitlich alle Politikfelder umfassen.
Kommen wir zu unserem
Nachwuchs, die sogenannten
„Digital Natives“. Ein (zu) großer
Teil der heutigen „Über-50/60-Generation“ hat passiv und bequem
auf die nachfolgende Generation
verwiesen: „Die jungen Leute werden mit Computern aufwachsen
und das schon machen.“ Ja, das
sah auch zunächst ganz gut aus,
hat sich aber schnell gewandelt.
Heute scheint es, als ob dieselben
Leute ihren Nachwuchs besänftigen: „Ach, nicht schlimm, ich habe
Chat Interview mit Olaf Fischer, Smudo, O. Stamsen, C
auch keine Mathe und EDV gekonnt und bin trotzdem gut durchs
Leben gekommen.“ Merken diese
Leute nicht, dass sie ihren Kindern und Kindeskindern dadurch
mindestens 50% aller Berufschancen rauben? Viele hunderttausend
qualifizierte Arbeitsplätze, Tendenz steigend, sind im Bereich der
Informationstechnologie und ihrer
Anwendungen in Deutschland unbesetzt. Innovation findet immer
weniger in Deutschland statt.
Aber junge Leute lehnen entsprechende Qualifizierungen
ab, weil zu wenig Interesse, zu
schwierig, vorgeblich nicht kreativ
genug, aber auch weil sie zu wenig
über MINT-Berufe wissen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik).
Müssen jetzt alle IT-Spezialisten werden? Nein, es werden
junge Menschen gebraucht, die
mit Zahlen umgehen können, die
ganzheitlich und „über die Tellerränder“ denken. Junge Menschen,
die in Modellen abstrahieren und
analytisch bewerten können. Junge Menschen, die technisch interessiert sind, die kreativ gestalten wollen. Junge Menschen, die
mehrsprachig und mit anderen
Kulturen kommunizieren können.
Erst mit der aktiven Bereitschaft,
diese Fähigkeiten zu erlangen,
kann auch die konkrete Wissensvermittlung erfolgreich sein. Das
ist nicht bequem, aber Globalisierung und Digitalisierung erfordern
von allen strategisches Denken,
Planen und Handeln – bereits seit
Jahrzehnten.
Was ist die Folge eines weiterhin bequemen Verharrens?
Wie damals bei den Fernsehgeräten: Technologie wandert ab
aus Deutschland. Ein Grund heute: Mangel an geeignetem Nachwuchs. Das große Jammern wird
zeitversetzt kommen, wenn ein
veraltetes Sozialsystem nicht mehr
finanziert werden kann und wenn
die strukturellen und individuellen
Defizite durchschlagen. Bleibt die
weitsichtige Forderung eines ehemaligen Bundespräsidenten: „Ein
Ruck muss durch Deutschland gehen!“
Und dieser Ruck beginnt bei jedem
und jeder Einzelnen zuhause und
in seiner/ihrer Stadt.
Prof. Dr. Uwe Weithöner. ●
Die Luca App in Wilhelmshaven
Nachdem die Corona Pandemie
die Welt nun schon seit über einem Jahr in Atem hält, wird sich
die Situation für viele Branchen
nun hoffentlich mit den aktuellen
Lockerungen schnell verbessern.
Bis zur vollständigen Normalisierung gilt es, mit Impfen, Schnelltesten und digitaler Kontaktverfolgung die Inzidenzen auf möglichst
niedrigem Niveau zu halten.
Insbesondere beim Punkt Kontaktverfolgung konnte unser Mitglied Olaf Fischer, Dozent für
Informatik im Fachbereich Ingenieurwissenschaften der Jade Hochschule, die Stadt Wilhelmshaven
und Ihre Betriebe bei der Einführung der „Luca App“ unterstützen.
Dabei wurden in kürzester Zeit
durch unkompliziertes Zusammenwirken mit dem Corona-Krisenstab der Stadt alle notwendigen
Voraussetzungen geschaffen, dass
Wilhelmshaven mit zu den ersten Kommunen gehörte, die Luca
zur Kontaktverfolgung am Start
hatten. Die Landkreise Friesland
und Wittmund hatten sich seinerzeit mit Interesse gemeldet und
wurden selbstverständlich ebenfalls unterstützt. „Wenn es darauf
ankommt, kann Wilhelmshaven
richtig schnell! So macht Engagement für die Heimatstadt Spaß“,
so Olaf Fischer.
Schon Anfang März wurden die
lokalen Betriebe für den Einsatz
Kontakterfassung mit luca
von Luca online geschult. Auch
hier hat die Kommunikation mit
den Partnern aus Gastronomie
und Handel sehr schnell funktioniert. Olaf Stamsen (Dehoga) und
Christoph Ganß (CIV) hatten in
kürzester Zeit ein Team von Multiplikatoren zusammengerufen, um
der Verbreitung der App in Wilhelmshaven Vorschub zu leisten.
Mittlerweile ist die App in breitem
Einsatz und fast jeder Besucher
der Gastronomie hat sie bereits bei
Ankunft installiert.
Hier zeigt sich, dass Engagement
vor Ort vieles bewirken kann und
Anpacken manchmal besser ist als
Meckern. ●