WBV-Zeitung BerlinerFormat-Einzelseiten - Flipbook - Seite 7
HAVEN IM BLICK
STADTBILD
AK Stadtbild und Umwelt
7
Überlegungen zu einer Quartiersentwicklung im Gebiet Tonndeich
Ausgangssituation
Das Tonndeich-Viertel ist einer der
ältesten Stadtteile Wilhelmshavens und zeichnet sich gleichzeitig
durch die höchste Bevölkerungsdichte aus. Von der Vorkriegsbebauung ist wegen der schweren
Bombardierung im Zweiten Weltkrieg kaum etwas erhalten. Allein
einzelne gründerzeitliche Gebäude
sind geblieben. Nach dem Krieg
entstand eine bunte Mischung aus
Einfamilien-, Reihen- und Mehrfamilienhäusern. Wohnen und Gewerbe wechseln sich dabei munter
ab. Der angrenzende Kurpark, sowie einige Innenhofbegrünungen
von Spar&Bau stellen die wesentlichen Grünflächen dar, weitere
Grünzüge wären wünschenswert.
Die ÖPNV-Anbindung ist relativ
gut, die Situation für Fußgänger
und Radfahrer ist verbesserungsbedürftig. Die Wohnsituation
zeichnet sich einerseits durch ein
relativ großes Wohnungs-angebot
von Spar&Bau mit gutem PreisLeistungsverhältnis aus, andererseits gibt es zahlreiche Wohnungen minderer Qualität mit viel
Leerstand. Gerade der Bereich Gökerstr./Zedeliusstr. wird aufgrund
der günstigen Mieten gerne von
Studierenden-WGs und Menschen
unterschiedlicher kultureller Herkunft genutzt.
Der größte Teil des Gewerbes befindet sich im Bereich der Gökerstraße und ist geprägt von einer
bunten Mischung aus kleinen
Fachgeschäften und -märkten,
Orientläden, Ärzten, Apotheken,
Pflegeeinrichtungen, Eiscafe, Restaurants, Imbisse und Pizzerien.
Im Bereich der Bismarckstraße finden sich zudem Betriebe (Schlachterei, Feinkost- und Spezialitätengeschäft), die in Wilhelmshaven
mittlerweile ein Alleinstellungsmerkmal besitzen. Trotz des immer noch relativ reichhaltigen und
einzigartigen Angebots an Geschäften, ist die Aufenthaltsqualität im
Bereich der Gökerstraße, vor allem
wegen des starken und relativen
schnellen Durchgangsverkehrs, als
mangelhaft zu bezeichnen. Auch
fehlt dem Stadtteil insgesamt ein
soziales Zentrum.
Einige größere Industrie- und
Handwerksbetriebe sind flächenmäßig nicht mehr erweiterungsfähig, was eine Nachfolgeperspektive
erschweren könnte und/oder sie
zeichnen sich durch nennenswerte Emissionen mit Einfluss auf das
Wohnumfeld aus.
Zielvorstellungen
Aufgrund der Ausgangssituation von Tonndeich bietet sich
eine Weiterentwicklung zu einem
Szeneviertel mit einer bunten
Mischung aus den unterschiedlichsten Fachgeschäften, internationalen Spezialitätenläden, hohem
kulinarischem
Abwechslungsreichtum und durchaus auch einer
gewissen jugendlichen „TrashKultur“ an. Diese kulturelle Vielfalt gehört zwingend zu einer
weltoffenen Hafenstadt, die zu-
dem regionales Oberzentrum mit
Wachstumsambitionen ist. Es
muss weiterhin ein soziales Zentrum mit hoher Aufenthaltsqualität entwickelt werden. Punktuell
sollte über die Errichtung eines
Mehrgenerationenangebots
auf
gewonnenen Frei-/Brachflächen
nachgedacht werden. Aufgrund
der relativ hohen Dichte von Angeboten im Gesundheitsbereich
müssen barrierefreie Wege geschaffen werden. Die Außenbereiche vor der Gastronomie müssen
zum Verweilen einladen. Hierzu
ist insbesondere eine verkehrliche
Beruhigung im Bereich der Gökerstraße anzustreben. Projekte, wie
der Rückbau der Hamburger Osterstraße können hier als Vorbild
dienen. Um weiterhin ein jüngeres
Publikum, Studierende und Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund anzuziehen,
ist Wohnraum mit relativ günstigen Mieten und einem gewissen
Mindeststandard (Bäder, energetische Sanierung Dächer, Fenster
Fassaden) nötig, was förderrechtlich im Rahmen des Programms
„Sanierungsgebiet
Tonndeich“
mittlerweile Beschlusslage ist
und weiterhin proaktiv beworben
werden sollte. Insbesondere die
Internetanbindung muss hier weit
überdurchschnittlich sein. Brachflächen müssen begrünt und eine
flächendeckende Verbesserung für
Fußgänger und Radfahrer erreicht
werden. Weiterhin sollten ein
Car-Sharing-Angebot und Infra-
Die Vision von der Fahrradstadt WHV
im Straßenverkehr sind: Piktogramme, die den Autoverkehr auf
den Radverkehr aufmerksam machen, digitale Tempo-30-Schilder
sowie Ampeln, welche die Zeit bis
zur nächsten Grünphase anzeigen.
Probleme sieht er aktuell an anderen Stellen. Damit eine verstärkte
Antragstellung der Fördermittel
möglich ist, müssten mehr Sachbearbeiter des vorhandenen Personals der Stadt für diese wichtige
Aufgabe für Wilhelmshaven eingesetzt werden. Außerdem gibt es
Schwierigkeiten
Handwerksbetriebe zu finden, die noch Kapazitäten für die Projekte haben.
Nach Ansicht des Vorsitzenden
von WIN@WBV, Markus Bulla,
muss Wilhelmshaven in diesem
Jahrzehnt weiterhin einen stringenten Weg gehen, um ein lückenloses Radnetz aufzubauen. Radfahren hat bei Einheimischen und
Besuchern eine besonders große
Bedeutung. Das Rad gehört zu
einem häufig genutzten Verkehrsmittel und diese Fahrradkultur
muss weiterhin von der Stadtpolitik unterstützt werden.
Hierbei verweist WIN@WBV auf
die Vorschläge des Vorsitzende
des ADFC in Wilhelmshaven und
ehrenamtlicher Fahrradbeauftragter der Stadt Volker Hasenmüller,
der im Rahmen eines Online-Gespräches mit den Mitgliedern des
Arbeitskreises Stadtbild &Umwelt
der WIN@WBV am 06.05.2021
über seine Erfahrungen und Vorschläge sprach.
Grundsätzlich bewertet Hasenmüller die Zusammenarbeit mit
der Stadt positiv, wesentlicher
Grund sind hier die aktuell verantwortlichen Ansprechpartner im
Stadtplanungsamt und der Klimaschutzmanager.
Zwei Leuchtturmprojekte sind
besonders hervorzuheben: zum
einen das Bundeswehr-RadwegeNetz sowie die Ost-West Verbindung der Kirchreihe. Der Umbau
der Bremer Straße ist hierbei ein
wichtiger Schritt. Dafür wird unter
anderem eine rote Asphaltierung
der Straße, sichere Übergänge an
Querstraßen und die Unterordnung des Autoverkehrs umgesetzt.
Beim Thema „Fahrradstraße“ bedarf es laut Hasenmüller pragmatischer Lösungen. So muss nicht
jede für den Fahrradfahrer vorgesehene Straße auch eine Fahrradstraße werden. Am Beispiel
der Schulstraße wird gezeigt, dass
auch eine “falsche” Einbahnstraße
ein solches Ziel erreichen kann.
Weitere Möglichkeiten zur Steigerung der Sicherheit der Radfahrer
Das langfristige Ziel muss ein barrierefreies und zusammenhängendes Radwegenetz mit durchgängigen Hauptachsen sein, welches
es möglich macht, wichtige Orte
(Schulen, Rathaus, etc.) für den
Radverkehr sicher erreichen zu
können. Es ist nicht zu Ende gedacht, wenn, um beim Beispiel der
Bremer Straße zu bleiben, diese
ausgebaut und keine Querverbindungen zu angrenzenden Schulen
geschaffen werden.
WIN@WBV möchte diese Ideen
gemeinsam mit den Wilhelmshavener Radfahrer*innen weiter verfolgen.
Ein konsequenter Weg wie bei den
Nachbarn in den Niederlanden
in Houten oder in Dänemark beispielsweise in Kopenhagen wäre
wünschenswert. „Jetzt die möglichen etwa sieben Millionen Euro
Fördermittel für die Jahre 2021
bis 2023 aus dem Nationalen Radverkehrsplan nicht zu beantragen
und abzufordern, wäre nicht nachvollziehbar.“. ●
struktur für E-Mobilität auf einer
zentralen Fläche (Beispielsweise
Parkfläche hinter Pit Stop) realisiert werden. Für größere Industrie- und Handwerksbetriebe sollte
es bei Bedarf eine geförderte Umsiedlungsperspektive geben und
die gewonnenen Flächen der Qualitätssteigerung im Wohnumfeld,
Mehrgenerationenprojekten sowie
stadtteilorientiertem
Kleinstgewerbe und Serviceangebot zu Gute
kommen.
Konkrete Maßnahmen
Rückbau Gökerstraße zweistreifig
mit Radweg und verbreiterten Bürgersteigen
• Schaffung einer flächendeckenden Glasfaseranbindung im Zuge
des Rückbaus der Gökerstraße
Schaffung eines sozialen Zentrums
am Knochenpark mit Boule-Platz,
Spielgeräten, Bistrotischen und
barrierefreien Angeboten
• Begrünung von Brachflächen
Schaffung eines Netzes von Fahrradstraßen (Vorbild: Neuengrodener Weg)
• Schaffung einer zentralen Fläche
Car-Sharing und E-Mobilität (hinter Pit Stop?)
• Proaktive Bewerbung des Städtebauförderprogrammes Sanierungsgebiet „Tonndeich“
(Bäder, energetische Sanierung Dächer, Fassaden, Fenster, Barrierefreiheit, Internetanbindung) durch
öffentliche Infoveranstaltungen.
• Prüfung Übernahme von Wohngebäuden durch Wohnungsbaugenossenschaften
• Befragung und Diskussion mit
Gewerbebetrieben zum Thema „geförderte Umsiedlung“
Nachfolgend ein Beispiel (HH Osterstraße), wie eine Gestaltung der
Gökerstr. erfolgen könnte (Mit freundlicher Genehmigung von ARGUS Stadt
und Verkehr, Hamburg):. ●
Grundsätzliche Anmerkungen zu aktuellen
Debatten am Beispiel des Klimaschutzes
von Prof. Dr. Uwe Weithöner
In aktuellen Debatten um die richtigen Maßnahmen z.B. zum Klimaschutz können sich sicherlich alle darauf verständigen, dass Deutschland alleine die globalen Entwicklungen nicht steuern kann, dass aber
unser Land eine internationale Vorbildfunktion ausüben kann.
Ein selbst ernanntes Vorbild entscheidet aber nicht selbst, ob seinen
Werten und seinem Handeln gefolgt wird. Diejenigen, die ihm folgen
sollen, entscheiden eigenständig, was sie tun oder lassen werden. Das
gilt es bei der Kreation eines Vorbildes zu berücksichtigen!
Wenn in Deutschland, dessen Wohlstand für viele erstrebenswert ist,
Märkte, Technologien, Produkte, Individualverhalten usw. mit dem
Ziel ökologischer Nachhaltigkeit eingeschränkt und zurückgefahren
werden, reicht das noch nicht zur Vorbildfunktion. Im Gegenteil; es besteht die Gefahr, dass andere Länder und Unternehmen sich bedanken, dass wir ihnen Platz machen und sie in die von uns hinterlassenen Lücken ihre Geschäfte ausdehnen können, bisweilen mit deutlich
schlechteren ökologischen Auswirkungen. Sie werden über dann über
das „Vorbild Deutschland“ spotten.
Zum Vorbild wird ein Land erst dann, wenn es gelingt, durch Innovationen, Investitionen, ausgereifte Produkte usw. den Wandel ökonomisch
erfolgreich zu gestalten. Innovative Technologien, neue Produkte, Prozesse u.a.m. müssen im zeitlichen Einklang die alten ersetzen (z.B. bei
der Energiewende) und dabei mindestens gleichen ökonomischen Erfolg erzielen mit langfristiger Erfolgsperspektive. Nur dann wird der
Wandel als Vorbild angenommen, wenn ökologische und ökonomische
Nachhaltigkeit miteinander erreicht werden. Das ist auch erforderlich,
um die notwendige Akzeptanz dieser Wandlungsprozesse in der heimischen Bevölkerung zu erlangen und somit den gesellschaftlichen Konsens zu ermöglichen. ●