NL Magazin 0125-paperturn - Flipbook - Seite 9
Wir sind längst nicht so hil昀氀os,
wie es manchmal scheint, ehrlich,
wir haben mehr in der Hand, als
wir glauben. Verhalten bricht nicht
einfach so über uns herein, und
Handlungen kommen nicht einfach so
aus uns heraus. Wir selbst haben da,
bei aller Prägung, schon auch noch
ein Wörtchen mitzureden. Und Detlef
Eigenbrodt meint: Man muss nicht
gleich aus der Haut fahren, um
eine Meinung zu vertreten.
Manche Menschen scha昀昀en es, die Dinge zu nehmen und zu
lassen, wie sie sind. Das verträgt sich zwar oft nicht mit der
Leistungsgesellschaft, ist aber durchaus eine schöne Begabung. Zumindest in manchen Situationen. Wer im kilometerlangen Stau ruhig bleibt, die Verspätung der Bahn mit einem
Lächeln hinnimmt, und sich im Büro oder auf der Baustelle
auch von der größten Hektik nicht anstecken lässt, ist eines:
gelassen. Denn er lässt die Dinge ohne Widerstand wie sie
sind. „Ein gelassener Mensch nimmt seine momentane Situation an, verliert sich nicht in Erwartungen und schaut nicht
ständig, was er alles haben könnte“, de昀椀niert der Psychologe
Michael Schellberg aus Hamburg. „Kurz gesagt: Gelassenheit
ist, bei sich und im Moment zu sein.“
Im Prinzip muss gar nichts
Doch genau das fällt vielen Menschen schwer. Ein Grund kann
ihre Unsicherheit sein: Wer sich ständig in Gefahr sieht, etwas
falsch oder sich lächerlich zu machen, ist selten gelassen.
Ein großes Thema sind auch die Erwartungen – von anderen
und auch sich selbst gegenüber. „Wir werden früh darauf
getrimmt, Leistung zu zeigen und besser zu sein als andere.
Einfach zu sein, genügt in unserer Leistungsgesellschaft
anscheinend nicht“, sagt Peter Groß, psychologischer Psychotherapeut in Köln.
Ehrgeizige und engagierte Menschen haben oft wenig Talent
zur Gelassenheit. Sie sind mit sich und ihrer Umwelt streng
und müssen unbedingt ihr Ziel erreichen. Doch im Prinzip
„muss“ gar nichts. Menschen können sich über Geschehnisse,
über andere Menschen oder über ihre Lebenssituation aufregen – sie müssen es aber nicht.
Alle haben Absichten
Ich schreibe diesen Beitrag kurz nachdem der neue amerikanische Präsident in sein Amt eingeführt wurde, und die Welt
den Atem anhält. Der eine Teil vor Begeisterung, der andere im
Schock. Gelassenheit sieht anders aus. Gleichzeitig be昀椀ndet
sich Deutschland im Wahlkampf, und viele Menschen haben
viele Ho昀昀nungen, Wünsche und Erwartungen. Was sie auch
haben, sind Absichten. Manche sind sich darüber sicher im
Klaren, bei anderen läuft das vermutlich eher unterschwellig mit, formt aber dennoch das Denken und Handeln. Viele
fühlen sich belogen und betrogen, fragen und suchen händeringend nach Glaubwürdigkeit. Gibt’s das noch? Ein Wort, das
Bestand hat? Eine Überzeugung, auf die verlass ist? Umsicht?
Und Weisheit? Und ich frage mich: Mit wie viel Gelassenheit
wird unser Land das Ergebnis vom 23. Februar hinnehmen?
Wenn Sie diesen Beitrag lesen, kennen wir die Antwort.
Besinnen und begreifen
Auf dem Weg zur Gelassenheit stehen allerdings oft Denkfallen, in die Menschen in schöner Regelmäßigkeit tappen. Doch
es sind nicht die Dinge oder Situationen, die uns aus der Ruhe
bringen, sondern die Art, wie wir sie interpretieren. Das, was
wir ihnen an Bedeutung beimessen. Und nur, damit hier kein
falscher Eindruck entsteht: Es gibt auch Momente, in denen
es richtig ist, nicht die Ruhe zu bewahren. Augenblicke, in
denen wir Dinge nicht widerstandslos annehmen, wie sie sind.
Wenn wir zum Beispiel sehen, wie Menschen ausgenutzt
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