univie 2/2023 - Magazin - Seite 10
SCHWERPUNKT
„Jede Zeit hat ihre eigene
Materialität.“
Christiana Köhler, Archäologin Uni Wien
Aus chemischer Sicht ist Keramik ein Werkstoff, der aus
nichtmetallenen anorganischen Stoffen besteht, seine
typischen Eigenschaften während der Stoffumwandlung
bei höherer Temperatur erhält und sich u.a. durch hohe
Druckbelastbarkeit und Unlöslichkeit in Wasser
auszeichnet. Aus archäologischer Sicht sind keramische
Artefakte ein Fenster in die Welt unserer Vorfahren.
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Heute, Jahrtausende später, ist Keramik immer noch
Teil unseres Alltags – und ihr Potenzial ist längst nicht
ausgeschöpft: Aufgrund ihrer zahlreichen hervorragenden
Eigenschaften werden keramische Materialien vielseitig
eingesetzt und gelten als aussichtsreicher Werkstoff der
Zukunft, etwa im Bereich Energiespeicherung oder gar für
die Raumfahrt.
DER HYPE UM NEUE MATERIALIEN. Ob wiederentdeckt,
weiterentwickelt oder neu: Wenn ein vielversprechendes
Material auf der Bildfläche erscheint, gibt es zunächst
oft einen Hype, erklärt Thomas Pichler, Leiter der
Forschungsgruppe Elektronische Materialeigenschaften
an der Fakultät für Physik. Anfang der 1990er-Jahre waren
Fullerene, kugelförmige Moleküle aus Kohlenstoffatomen,
in aller Munde, seit einigen Jahren sind Graphene und
andere zweidimensionale Materialien wie z.B. sogenannte
Übergangsmetall-Dichalcogenide – TMDCs – hoch im Kurs.
„Die neuesten Designer-Materialien sind Schichtstrukturen
aus zweidimensionalen Materialien, die unter exaktem
Winkel gestapelt werden und so komplett neue
Eigenschaften wie Supraleitung erhalten“, erklärt Pichler.
Diese hoffnungsvolle Phase rund um die
Entdeckung eines neuen Materials ist durch einen
exponentiellen Anstieg der wissenschaftlichen und
medialen Publikationen gekennzeichnet und hält
im Durchschnitt fünf Jahre an: „In dieser Zeit werden
alle Anwendungsmöglichkeiten abgeklärt, danach
kommt man zur harten Arbeit der Optimierung, um die
vorhergesagten Eigenschaften auch nutzbar zu machen.“
In diesem sogenannten „Valley of Delusion“ bleiben laut
Pichler nur die erfolgversprechendsten Anwendungen
übrig und die „ganz hartnäckigen“ Forscher*innen
FOTOS: S. 10: CHRISTIANA KÖHLER · S. 11: ISTOCK
die ältesten bekannten keramischen Artefakte sind nahezu
10.000 Jahre alt.“ Es sei erstaunlich, dass die Menschen
so früh entdeckt haben, wie sie aus Ton oder Lehm, wenn
er pyrotechnisch aufbereitet wird, ein dauerhaftes Material
fertigen können – ein Meilenstein für die Zubereitung
und Aufbewahrung von Nahrungsmitteln.