univie 2/2023 - Magazin - Seite 14
SCHWERPUNKT
hervorgehen, welche Versprechen damit verbunden
sind und welche „kollateralen Zukünfte“ am Ende des
Innovationslebens eines Materials stehen. „Über das
Leben von Materialien, nachdem sie ihren Primärzweck
erfüllt haben, diskutieren wir als Gesellschaft leider oft
erst dann, wenn es bereits zu spät ist“, bedauert die
Sozialwissenschafterin, die sich in ihrem aktuellen Projekt
„Innovation Residues“ mit den Hinterlassenschaften
großer Innovationsfelder beschäftigt.
„Das Beispiel Kunststoff zeigt, dass Materialien imstande
sind, ganze Gesellschaften umzuschreiben und neue
Abhängigkeiten zu schaffen“, erklärt Felt. Massentauglich
wurde Plastik in den 1950er-Jahren – seit damals hat sich
die Produktion laut OECD um das 230-Fache erhöht.
So wichtig und scheinbar unersetzlich das vielseitige
Material in vielen Lebensbereichen geworden ist
(man denke nur an die Medizin): Plastikmüll gehört zu
den größten Umweltproblemen unserer Zeit. Winzige
Plastikpartikel sind mittlerweile an jedem entlegenen
Fleckchen Erde und sogar in unseren Körpern zu finden,
mit bisher unabsehbaren Langzeitfolgen.
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Kunststoffe zum jetzigen Zeitpunkt aus dem Umlauf
zu nehmen, sei allerdings nahezu unmöglich, so die
Einschätzung von Felt. Die Single Use Plastic Directive,
die seit 2019 den Vertrieb bestimmter, zum einmaligen
Gebrauch vorgesehener Kunststoffartikel wie Strohhalme
oder Plastiksackerl verbietet, sei ein Versuch, überflüssiges
Plastik zu reduzieren. Ein Anfang, der allerdings schon
bisweilen innerhalb und auch an den EU-Grenzen sein
Ende findet: „Es braucht mehr Mut und weitreichendere
Maßnahmen seitens der Politik“, so die Uni WienForscherin.
AUS WELCHEM STOFF WIRD UNSERE ZUKUNFT SEIN?
Welches Material der nächsten Epoche seinen Stempel
aufdrücken wird, bleibt abzuwarten. Für jeden Werkstoff
gibt es jeweils unterschiedliche Spezialist*innen, die
verschiedene Ansätze verfolgen. Einer davon – oder
ein Zusammenspiel mehrerer? – wird sich letztlich
durchsetzen. Dabei sei vor allem die Zusammenarbeit der
Disziplinen wichtig, sind sich die Forscher*innen einig:
Denn um die komplexen Probleme der heutigen Zeit
zu lösen, braucht es den Blick über den Tellerrand und
breite Kooperationen, in der Forschung und zwischen
FOTOS: S. 14: DERKNOPFDRUECKER.COM · S. 15: LUDWIG ROSNER · T. PICHLER · MICHAEL REITHOFER · U. FELT
Sind digitale Daten
auch Material?
Ulrike Felt plädiert
dafür: „Daten
verbrauchen jede
Menge Ressourcen, u. a.
Strom und Wasser zur
Kühlung der Server,
sie sind also keineswegs
immateriell.“