univie 2/2023 - Magazin - Seite 9
SCHWERPUNKT
NEUE MATERIALIEN
MATERIALIEN. Jedes Jahr entstehen unzählige neue
Materialien in Labor
Laboren weltweit. Sie bringen meist Verbesserungen
I
und ermöglichen Innovationen,
stellen uns aber auch vor Probleme.
A
Gemeinsam mit einer Archäologin,
einer Chemikerin, einem Physiker
Technikf
und einer Technikforscherin
werfen wir einen Blick auf Materialien,
die kommen, und solche
solche, die uns in der Vergangenheit geprägt
haben. Das Material der Z
Zukunft, gibt es das überhaupt?
TEXT: SIEGRUN HERZOG, HANNA MÖLLER, BERNADETTE RALSER
M
FOTOS: SHUTTERSTOCK
enschengemachte Werkstoffe bestimmen unser
unseren
Alltag.. Blicken Sie einmal um sich: das Smar
Smartphone, die
Ohrstöpsel, der Sitz in der Straßenbahn.
aßenbahn. SScheinbar
unmöglich, alle hier verwendeten Materialien
erialien aufzuzählen. Noch vor hundert Jahren
en betrug das G
Gesamtgewicht
der künstlichen Dinge, die „anthropogene
thropogene M
Masse“, nur
etwa drei Prozentt der globalen Biomasse
Biomasse. Heute gibt es
längst mehr menschengemach
menschengemachtes Material als Lebewesen
auf der Erde, und jede Woche kommt laut einer im Wissenschaftsjournal „Nature“ veröffentlichten Studie für jeden
schaf
Menschen noch einmal in etwa sein Körpergewicht an
Plastik, Beton und Co. dazu.
Währenddessen suchen Forschungsgruppen aus aller Welt
nach neuen Materialien: Sie gelten als Hoffnungsträger
für viele brennende Probleme unserer Zeit. Besonders
dringlich ist dabei die Entwicklung nachhaltiger
Werkstoffe für die Energiespeicherung, abbaubarer oder
recycelbarer Kunststoffe oder eine umweltfreundlichere
Halbleitertechnik.
JEDER ZEIT IHR MATERIAL. Schon seit Anbeginn
der Menschheitsgeschichte hat die Entdeckung neuer
Materialien die Richtung bestimmt, in die sich die
Gesellschaft entwickelte. Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit:
Ganze Epochen wurden nach wichtigen Werkstoffen
benannt. „Das Experimentieren mit verschiedenen
Materialien ist so alt wie der moderne Mensch“, sagt die
Archäologin Christiana Köhler von der Universität Wien.
Heute gibt uns die materielle Kultur, die unsere Vorfahren
hinterlassen haben, Auskunft über ihre Lebens- und
Wirtschaftsweisen: „In jedem Objekt steckt Wissen über
Rohstoffe, Materialien und Fähigkeiten.“
Christiana Köhler, die jahrelang in Helwan, einer antiken
Stadt südlich von Kairo, geforscht hat und derzeit
Ausgrabungen im ägyptischen Abydos leitet, interessiert
sich vor allem für das Leben und Arbeiten der einfachen
Menschen vor 5.000 Jahren. „Wir haben in Helwan einen
riesigen Friedhof freigelegt. Die Objekte, die wir dort
gefunden haben, erzählen uns, dass die Bevölkerung
gut ernährt war, hart gearbeitet hat und die Teilhabe an
gemeinsamer Infrastruktur offenbar gut funktionierte.“
Jede Zeit hat ihre typischen Artefakte und Materialien.
Interessant sind dabei vor allem auch die verwendeten
Rohmaterialien. Am Beispiel Keramik erklärt Köhler das so:
„Zur Herstellung von Keramik wird Wasser benötigt, gerade
in trockenen Gebieten eine sehr wertvolle Ressource,
außerdem Brennmaterial. Die Brennöfen müssen eine
Temperatur von mindestens 650 Grad Celsius erreichen.
Wo kam das Brennmaterial her? Wer hat die Objekte
hergestellt? Hier klappt ein ganzer Fragenkatalog auf,
der uns tief in die Gesellschaft und in die Wirtschaft der
jeweiligen Zeit hineinführt.“
KERAMIK QUER DURCH DIE JAHRTAUSENDE. Laut
Köhler ist Keramik das Material, das uns historisch gesehen
am meisten geprägt hat: „Es gibt fast nichts Beständigeres;
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