univie 2/2023 - Magazin - Seite 11
Twistronik heißt das Forschungsgebiet, bei dem es darum geht, die elektronischen
Eigenschaften von Halbleitermaterialien zu verändern, indem sie in
verschiedenen Winkeln („Twists“) zusammengebaut werden.
am Ball, um die Materialien auf dem anschließenden
„Plateau der Produktivität“ für spezifische Anwendungen
weiterzuentwickeln. „Bis in die industrielle Produktion
vergehen dann oft noch weitere zehn bis 15 Jahre.“
Die Crux: So vielversprechend ein neues Material auch ist,
damit es für die Wirtschaft interessant wird, muss es viele
Kriterien erfüllen, u.a. großflächig produzierbar, leistbar
und ungiftig sein – so kommt es vor, dass die Werkstoffe,
die schließlich zur Anwendung kommen, oft nur einen
Bruchteil der theoretisch möglichen Eigenschaften
aufweisen. „Hergestellt wird letztlich oft ein Gemisch, das
zwar nur wenige Faktoren besser, aber billig genug ist,
um in Massenproduktion zu gehen. Unsere Aufgabe als
Forscher und Forscherinnen besteht darin, aufzuzeigen,
welche Materialien verbesserungswürdig sind.“
DAS WOHL STÄRKSTE MATERIAL DER WELT.
Thomas Pichler ist einer von jenen, die bei den
Nanotubes – mikroskopisch kleinen eindimensionalen
Kohlenstoffröhrchen, die heute vielseitig eingesetzt
werden – am Ball geblieben ist. Mittlerweile stehen nicht
mehr nur eindimensionale, sondern eben auch DesignerMaterialien aus zweidimensionalen Schichtstrukturen
und ihre Verknüpfung mit Nanoröhren im Fokus seiner
Forschung.
Für einen Hype haben die Uni-Wien-Physiker*innen
auch schon gesorgt: 2016 gelang es Pichler und seinem
Team, die bislang längste stabile eindimensionale
Kohlenstoffkette zu erzeugen und damit die Existenz
von Carbin (engl. Carbyne) nachzuweisen. Nach diesem
Stoff wurde 130 Jahre lang gesucht, er gilt als stärkstes
Material der Welt, das Diamant, Graphen und Nanoröhren
in vielerlei Hinsicht noch übertreffe. „Wenn jetzt aber
eine Firma anruft und fragt, ob sie ein paar Kilo Carbin
bestellen kann – was übrigens tatsächlich schon passiert
ist –, muss ich sie leider vertrösten“, schmunzelt Pichler:
„Wir haben davon gerade mal ein paar Mikrogramm hier
im Labor an der Uni Wien.“
Diese geringe Menge reicht dem Physiker völlig, um die
Eigenschaften von Materialien bis ins kleinste Detail, auf
der Ebene von Atomen und Molekülen, zu analysieren.
„Erst wenn wir sie verstehen, können wir sie verbessern“,
betont Pichler. Damit einher geht die Notwendigkeit,
neue, bahnbrechende Methoden zu entwickeln, um
die immer kleiner, immer feiner werdenden Materialien
zu untersuchen. „Und das ist etwas, das wir an der
Uni Wien besonders gut können“, freut sich der mehrfach ausgezeichnete Wissenschafter, dessen zweites
Steckenpferd die Methodenentwicklung ist.
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