univie 2/2023 - Magazin - Seite 24
ALUMNIRÄTSEL
Eine Pionierin,
aber keine
Feministin
VON WIEN NACH NEW YORK. Die gesuchte Absolventin der
Universität Wien setzt sich fern ihrer Heimat in einer von Machos
dominierten Branche durch. Dabei helfen ihr auch die in Wien
miterfundenen Methoden.
Viele ihrer wichtigen Innovationen gelingen ihr früh in ihrem Leben, als sie noch an
der Universität Wien tätig ist. Doch in vielen Fällen sind es berühmtere männliche
Kollegen, die diese Neuerungen für sich
beanspruchen und die Rolle der gesuchten Alumna herunterspielen, die in ihrer
Heimatstadt vermutlich weniger bekannt
ist als in New York.
Geboren in eine bürgerliche Wiener Familie – ihr Vater ist Rechtsanwalt –, wächst sie
dennoch unter schwierigen Umständen
auf: zum einen wegen der Inflation und
zum anderen wegen ihrer an Tuberkulose
erkrankten Mutter, die früh stirbt. Nach
dem Gymnasium, wo sie stets Klassenbeste ist, inskribiert die Hochbegabte an
der Universität Wien Griechisch, Latein und
Archäologie, um nach dem ersten Semester etwas ganz anderes zu machen.
Ausschlaggebend dafür war ein aus
Deutschland stammendes Professorenpaar, das viele der besten Studentinnen
und Studenten in seinen Bann zog. An
dessen Institut schreibt sie ihre Dissertation, die bereits eine erste Pionierleis-
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tung darstellte: Sie untersucht erstmals,
wie Radiohörerinnen und -hörer allein
aufgrund der Stimme Rückschlüsse auf die
Sprecherinnen und Sprecher anstellten.
Kurz vor Abschluss des Studiums erkrankt
die hier gesuchte Alumna an Polio, von der
ein gelähmter rechter Arm zurückbleibt.
MÄCHTIGSTE FRAU DER
MADISON AVENUE.
Weitere drei Jahre später emigriert sie
mit ihrem späteren Ehemann in die USA.
Dort beschäftigt sie sich weiter mit der
Radioforschung, wechselt dann aber in ein
anderes Feld, das sie mitbegründet, indem
sie ihre in Wien und New York miterfundenen Methoden zur Anwendung bringt.
Aufgrund ihrer Leistungen und ihres
Einflusses wird sie als „die mächtigste Frau
der Madison Avenue“ bezeichnet. Obwohl
der Bereich, indem sie so erfolgreich ist,
von Machos dominiert wird, sagt sie später
einmal: „Das Geschlecht hat in meinem
Berufsleben nie eine Rolle gespielt. Ich bin
keine Feministin, verstehe aber, wenn
andere es sind.“
In einem ganz ähnlichen Bereich und
ebenfalls in New York ist ein weiterer
Kollege aus Wien tätig, der ebenfalls beim
erwähnten Ehepaar studiert und ein Jahr
nach der gesuchten Alumna promoviert
hat. Er berät neben Hunderten Firmen
auch US-Präsidenten, und sein wissenschaftlicher Nachlass, der 1994 nach Österreich zurückkehrte, ist seit 1997 an seiner
Alma Mater in Wien zugänglich.
Die gesuchte Alumna kehrt mit ihrem
zweiten Ehemann, der aus Deutschland
stammt, mit 60 Jahren nach Europa zurück
und ist bis ins hohe Alter aktiv. Sie verfasst
unter anderem zwei der besten Analysen
der US-amerikanischen Seifenopern
„Dallas“ und „Dynasty“. Mit weit über
80 Jahren legt sie eine immer noch lesenswerte Studie über den Antisemitismus
in Österreich vor. Und erst mit 99 Jahren,
knapp vor ihrem Tod, reklamiert diese
vielfache Pionierin ihre wohl wichtigste
Neuerung für sich, die in den Sozial- und
Kommunikationswissenschaften heute
zum Grundinventar gehört. •
FOTOS: S. 24: URSULA OSTENDORF · S. 25: CZERNIN-VERLAG
TEXT: KLAUS TASCHWER